Eine offene Drogenszene gibt es heute nicht mehr. Trotzdem betreuen die Luzerner Gassenarbeiter noch immer 600 Personen. Bedenklich: Die Zahl der jungen Neukonsumenten steigt.
Im öffentlichen Raum sind drogenabhängige Menschen praktisch verschwunden. Eine Tendenz, die schweizweit zu beobachten ist. Das könnte zur Annahme verleiten, dass die Drogenproblematik nicht mehr da ist.
Doch dem ist nicht so. Laut dem Jahresbericht 2017 des Vereins kirchliche Gassenarbeit Luzern ist die Zahl der Klienten stabil geblieben. Betreut werden in der Stadt Luzern an die 600 Personen. Die Betreuung beinhaltet verschiedene Formen: So werden die Klienten in der Gassechuchi verpflegt, eine Näherin flickt einmal pro Woche die Kleider und eine Coiffeuse schneidet die Haare. Hinzu kommen regelmässige Besuche einer Ärztin und eines Musikpädagogen. Die Verantwortlichen ziehen eine positive Bilanz, wie Geschäftsleiter Fridolin Wyss festhält.
Dank solcher Angebote lebten diejenigen, die Drogen konsumierten, erkennbar gesünder als noch vor Jahren. Und die Möglichkeit Spritzen zu tauschen, habe einen Rückgang von übertragbaren Krankheiten zur Folge. All dies zusammen wirke sich nicht nur positiv auf den Klienten, sondern auch auf die Gesundheitskosten der Kantone und des Bundes aus, sagt auch die Leiterin Gassechuchi/Kontakt- und Anlaufstelle Franziska Reist. Es sei wichtig, dass obwohl keine offene Szene mehr wahrnehmbar sei, besonders junge Menschen für die Angebote des Vereins sensibilisiert werden. Denn eine Gesellschaft werde nie drogenfrei leben. Es sei notwendig, ständig die Augen und Ohren offen zu halten, so Reist.
Erstmals in Kontakt mit neuen Suchtbetroffenen kommen meistens die Sozialarbeiter. Sie treffen sie auf öffentlichen Plätzen an und motivieren sie, Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Im Jahr 2017 zählten die Gassenarbeiter 14 Neuzugänge. Das seien auffällig viele, hält der Verein fest. Die Neukonsumenten sind im geschätzten Alter von 16 bis 30 Jahren. Genau wird dies nicht erhoben, da auf der Gasse keine Ausweise eingesehen werden.
«Bei Drogenkonsumenten kommt es immer wieder vor, dass sie Angebote abbrechen, das ist ihr freier Entscheid.»
Fridolin Wyss, Geschäftsleiter Verein kirchliche Gassenarbeit Luzern
Die Familie im Fokus hat das «Paradiesgässli», eine freiwillige Anlaufstelle für Familien. Es bietet Beratung und Begleitung für Familien, die von Sucht und Armut betroffen sind. Letztes Jahr hatten sie mit 83 Familien und 142 Kindern Kontakt, rund 16 Familien hatten erstmals um Hilfe gebeten und 11 Familien den Kontakt abgebrochen. Dazu sagt Geschäftsleiter Wyss: «Bei Drogenkonsumenten kommt es immer wieder vor, dass sie Angebote abbrechen, das ist ihr freier Entscheid.» Eine Begleitung geht meist über Jahre.
Das «Paradiesgässli» ist für viele eine Insel zum Auftanken, ein Ort, an dem sie soziale Kontakte pflegen können. Hier wird gemeinsam gegessen, gespielt, gebastelt und diskutiert. Die Jugendberatung Listo und Listino, die Kinder unter anderem auch schulisch unterstützt, runden das Angebot ab.
Der Verein Kirchliche Gassenarbeit ist ein Teil der Diakonie, des Dienstes am Mitmenschen der Landeskirchen im Kanton Luzern. In der Stadt Luzern sind rund 50 Mitarbeitende an drei verschiedenen Standorten im Dienst. An der Murbacherstrasse arbeitet beispielsweise das Team Gassenarbeit, genannt «Schalter 20». Letztes Jahr wurden dort 123 Sozialberatungen und 68 Einkommensverwaltungen gemacht. Die Einkommensverwaltungen haben sich in den letzten sieben Jahren mehr als verdoppelt, heisst es im Jahresbericht.
Mit neuem Namen in aller Munde ist auch das Catering-Angebot der Gassechuchi: aus «öffentlich-genüsslich» wurde «Mundwerk». Letztes Jahr wurde das Catering-Angebot für 40 externe Anlässe gebucht und damit 3300 Gäste verköstigt. Das sind 700 Gäste mehr als noch ein Jahr zuvor, wie Oliver Wehrli im Jahresbericht festhält. Für ihn sind solche Aufträge die beste Öffentlichkeitsarbeit für den Verein und sehr motivierend.
Ein weiteres Angebot ist die Seelsorge. Dazu Wyss: «Wir begleiten wo gewünscht. Denn Glauben kann durchaus eine Ressource sein und stärkend wirken.» Doch er betont, dass man nicht missionarisch unterwegs sei. Damit die Angebote der Gassenarbeit Bestand haben, ist man auf Spenden und Legate angewiesen. Im Jahr 2017 weist die Rechnung einen Verlust von 184000 Franken aus. Dies, weil der Verein im Vorjahr einen Teil des Gewinns 2016 im Jahr 2017 als Reserve für die Pensionskasse der Mitarbeitenden eingesetzt hat.