Jeder fünfte Unfall im Kanton passiert, weil der Vortritt missachtet wird. Betroffen sind oft Senioren – in zweifacher Hinsicht.
«Mit Auto Vortritt missachtet – fünf Personen verletzt»; «Vortritt beim Linksabbiegen missachtet – zwei Personen verletzt»; «Vortritt missachtet – Mofafahrer erlitt schwere Kopfverletzungen».
Die Polizeimeldungen ähneln sich: Das Missachten des Vortrittsrechts ist die Ursache Nummer eins für Verkehrsunfälle auf Luzerns Strassen. 451 waren es im vergangenen Jahr – über 19 Prozent der gesamten registrierten Unfälle, wie der neuesten Kriminalstatistik der Luzerner Polizei zu entnehmen ist. Warum ist das so – kennen wir die Regeln zu wenig?
«Seit wir Autofahren, gibt es die Vortrittsregeln», sagt Robert Eberhard, Präsident des Verbandes der Fahrschulen Zentralschweiz. Das Hauptproblem sei, dass diese nicht nach Automatismen funktionieren. «Bei vielen Unfällen, bei denen der Vortritt missachtet wird, spielt die fehlende Aufmerksamkeit oder die nicht angepasste Geschwindigkeit eine Rolle.» Der pensionierte Luzerner Fahrlehrer räumt aber ein: «Die Vortrittsregeln sind in den vergangenen Jahren komplexer geworden.» So seien etwa neue Situa-tionen hinzugekommen, zum Beispiel 20er- und 30er-Zonen oder die Trottoirüberfahrten – das Trottoir verläuft hierbei über die Fahrbahn und unterbricht eine direkte Einmündung in eine Strasse.
Auch wegen solcher Situationen komme es oft vor, dass angehende Fahrschüler bei der Theorieprüfung wegen der Vortrittsregeln durchfallen, wie Eberhard sagt. Kommt hinzu: «Früher haben Fahrlehrer die Regeln an einem Modell erklärt. Heute lernen die Schüler alleine am Computer. Für die Prüfung prägt man sich die Bilder ein, aber das Prinzip hat man vielleicht gar nicht verstanden.»
Trotz Schwierigkeiten mit den Vortrittsregeln: Neulenker haben in der Praxis weniger Probleme damit als ältere Autofahrer. Die Missachtung des Vortrittsrechts tritt bei schweren Unfällen von Lenkern über 64 Jahre deutlich häufiger auf als in den übrigen Altersgruppen. Dies hat der Sinus-Report 2015 – Sicherheitsniveau und Unfallgeschehen im Strassenverkehr – der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) gezeigt. Roland Allenbach, Leiter Forschung der BfU, ist Mitautor der Untersuchung. Er sagt: «Vor allem innerorts werden die Vortrittsregeln missachtet. Auf diesen Strassen sind Senioren häufig unterwegs. Einerseits als Autofahrer, andererseits als Fussgänger.» In drei Viertel der Unfälle tragen Autofahrer die Schuld – die tödlich verletzten Opfer sind in 40 Prozent Fussgänger.
Ein weiterer Grund, warum Pensionierte öfters in Unfälle verwickelt sind – sowohl als Verursacher wie auch als Opfer – ist laut Experten der allgemeine gesundheitliche Zustand. Das Sehfeld und der Gehörsinn nehmen im Alter ab. Kommt hinzu: «In der Tendenz sind Senioren im Strassenverkehr eher überfordert.» Auch, weil der Verkehr in den vergangenen Jahren zugenommen hat.
Doch was braucht es, damit Unfälle wegen Missachten des Vortritts künftig abnehmen? «Ein Allgemeinrezept gibt es nicht», sagt Allenbach. Mit baulichen Massnahmen oder Temporeduktionen könne man aber vielerorts schon viel erreichen. «Die nötigen Anpassungen sind aber immer situativ zu beurteilen.»
Christian Hodel
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Statistik chh. Jeder ist einer zu viel, sagt Adi Achermann, Kommandant der Luzerner Polizei, und meint die Zahl der Verkehrstoten. Im vergangenen Jahr lag diese mit 15 Personen über dem Wert der Vorjahre, wie in der neuesten Verkehrsstatistik der Luzerner Polizei steht. 2014 kamen beispielsweise 11 Personen im Strassenverkehr ums Leben.
Mehr Unfälle wegen Drogen
Die Gesamtzahl der polizeilich registrierten Verkehrsunfälle stieg 2015 um 2,8 Prozent auf 2334. Rund drei Viertel davon ereigneten sich auf trockenen Strassen – meist innerorts, wo sich 68 Prozent aller Unfälle abspielen. Bei fast der Hälfte der Kollisionen verletzten sich Personen. Hauptgründe für die Unfälle sind das «Missachten des Vortrittsrechts», «zu nahes Aufschliessen», «unvorsichtiges Manövrieren oder Rückwärtsfahren» und der «Zustand des Lenkers». Unfälle unter Alkoholeinfluss sind in Luzern leicht rückläufig. Hingegen stiegen jene an, bei denen andere Drogen im Spiel waren.