Im Spital, in der Kirche und beim Bestatter gehört das Sterben gleichsam zum Jobprofil. Doch es gibt auch noch andere Berufsleute, die den Tod als ständigen Begleiter haben. Drei von ihnen haben wir besucht. In diesem Artikel lesen Sie mehr über den Alltag eines Krematoriumsmitarbeiters.
Ein hellblaues Band zieht sich im Osten durch den Himmel. Die Luft ist kühl, frisch. Das Leben bereitet sich vor auf einen neuen Tag – der Tod tut es ihm gleich: Schon seit einer Stunde laufen die Öfen im Krematorium Friedental in der Stadt Luzern. Sie wurden auf Temperatur gebracht, um ihr Tagwerk zu vollbringen. Die Räumlichkeiten des Krematoriums sind hell, so ganz im Kontrast dazu, wie man sich ein Krematorium vorzustellen vermag.
Wer nicht wissen sollte, wo er sich hier befindet, käme nicht auf die Idee, dass nur wenige Meter nebenan bereits Körper brennen. Der Empfangsbereich wirkt durch die roten Wände warm, Blumen zieren die Theke, dahinter warten zwei Kremationsmitarbeiter. Paul Gisler und Roland Zurkirch sind seit über zehn Jahren hier tätig. Es ist nicht das erste Mal, dass den beiden jemand bei der Arbeit über die Schulter blickt – zirka ein Mal monatlich möchte ein Angehöriger der Kremation eines Angehörigen beiwohnen. «Meist sind die Leute dann aber enttäuscht», sagt Paul Gisler. Denn: Viel zu sehen gibt es beim Kremieren nicht.
Nachdem der Sarg aus dem 10 Grad kalten Kühlraum zur Ofenöffnung gefahren worden ist, positioniert der Kremationsmitarbeiter diesen vor dem Tor. Paul Gisler betätigt den Knopf. Die Wand vor dem Sarg öffnet sich und gibt den Blick auf die Flammen frei. Heisse Luft bläst dem Zuschauer entgegen. Dann wird der Sarg automatisch hineingefahren. Sogleich zischt es, das Feuer schlängelt sich erst um den Sarg, bevor die Flammen den Leichnam erreichen. Der eigene Körper wird von Wärme erfüllt. Dann schliesst die Öffnung. Einzig ein Guckloch mit einem Durchmesser von einigen Zentimetern ermöglicht nun noch den Blick ins Innere des 800 Grad Celsius heissen Ofens.
Gut drei Stunden dauert der Prozess vom Hineingleiten des Sargs in den Ofen bis zur Herausnahme der Asche. Auf ein etwaiges unangenehmes Gefühl bei der Arbeit angesprochen sagt Paul Gisler: «Ich denke nicht immer aktiv darüber nach, dass dort gerade ein Mensch verbrannt wird.» Es sei nicht möglich im Krematorium zu arbeiten, wenn die Arbeit einen täglich traurig stimme. Nach dem Einäschern ist der Vorgang noch nicht am Ende angelangt. Der einzige sichtbare Unterschied zwischen den Überbleibseln aus einem Cheminée zu den Reststücken des Einäscherungsprodukts sind Knochenteile, Hüft- oder andere Operationsimplantate, die schwer auf der Asche liegen.
Diese entfernen die Kremationsmitarbeiter von Hand. Anschliessend wird die Asche in einer Mahlmaschine zerkleinert. «Dieser letzte Arbeitsschritt ist wichtig. Und von Gesetzes wegen vorgeschrieben», sagt Paul Gisler. Danach schüttet die Maschine die Asche direkt in die Urne. Arbeitsschritte, Prozess, Maschine – solche Begriffe lassen schnell vergessen, dass hier ehemaliges Leben auch in seiner Materialisierung noch sein Ende findet. «Wir versuchen bei der Arbeit nicht über den Umstand nachzudenken, dass wir hier Menschen verbrennen», erklärt Paul Gisler gefasst und nimmt eine hölzerne Urne in die Hand. «Wenn man die Arbeit im Geiste nach Hause nimmt und nach Feierabend über die Schicksale grübelt, könnte man gar nicht in einem Krematorium arbeiten», ergänzt er und schliesst die Urne.
«Wir versuchen bei der Arbeit nicht über den Umstand nachzudenken, dass wir hier Menschen verbrennen.»
Paul Gisler, Kremationsmitarbeiter
Abwechslung bietet ihm die Tätigkeit auf dem Friedhof. Denn wie seine zwei Kollegen ist auch Paul Gisler gelernter Landschaftsgärtner und widmet einen Drittel seiner Arbeitszeit dieser Facette des Jobs: «Ich geniesse jeweils, die Blumen auf den Gräbern zu betreuen», kommentiert Paul Gisler und legt die Urne für den Bestatter in der Einfahrt des Krematoriums bereit. Wieder im Büro des Krematoriums angelangt, blicken wir in die ersten Sonnenstrahlen des Morgens. Die Räumlichkeiten sind auf den Friedhof und das dahinter gelegte Waldstück ausgerichtet. «Viele Leute beneiden uns um den Ausblick», sagt Roland Zurkirch und lacht. Fröhlichkeit bei der Arbeit am Kremationsofen – «selbstverständlich», stellt Zurkirch klar. Schliesslich sei ihre Arbeit nicht spezieller als die eines Technikers oder Handwerkers. Dennoch – einige Menschen stutzen, wenn Roland Zurkirch von seinem Beruf erzählt.
«Es gibt schon auch viele Leute, die witzeln oder Spässe machen.» Viel Zeit für eine Vertiefung dieses Themas bleibt nicht: Denn bereits ist es Zeit, den nächsten Kremationsprozess in Gang zu setzen. Wie fühlt es sich an, täglich rund ein Duzend Mal den Hebel zur Verbrennung eines Menschen zu betätigen? «Das ist gar nicht so speziell», so Gisler. «Da wir den Sarg nicht öffnen können und nicht öffnen dürfen, ist es für uns einfacher.» Ob er einen eigenen Angehörigen kremieren könnte, weiss er nicht. Roland Zurkirch dagegen sah sich vor einiger Zeit genau mit dieser Frage konfrontiert: «Mein Vater ist verstorben. Für mich war das Kremieren jedoch kein Problem, da ich mich wegen seiner Krankheit auf seinen Tod vorbereiten konnte.» Vor allem die Einäscherung von jungen oder verunfallten Menschen sowie Neugeborenen lässt die beiden nicht kalt. «Da ist es abends schon nicht so einfach, abzuschalten.»
«Mein Vater ist verstorben. Für mich war das Kremieren jedoch kein Problem, da ich mich wegen seiner Krankheit auf seinen Tod vorbereiten konnte.»
Roland Zurkirch, Kremationsmitarbeiter