Seit 30 Jahren fährt und betreut Hans Steinger (52) am Jazz Festival die Musiker. Das hat zu einigen aussergewöhnlichen Begegnungen und Geschichten geführt.
«Mit dem Jazz ist es wie mit dem Schnaps trinken. Am Anfang hat man ihn nicht wirklich gerne, aber dann probierst du, weil ihn andere auch mögen.» Schallendes Gelächter. Hans Steinger ist nie um einen guten Spruch verlegen. Man müsse ein wenig kämpfen, um diese Musik zu mögen. «Sie ist so anders und frei, da muss man sich zuerst einleben. Aber dann ist es wunderbar, und man kommt nicht mehr davon los.»
Hans Steinger war 21, als er vor 30 Jahren an seinem ersten Festival als Taxifahrer die Musiker John Zorn, Christian Marclay und David Moss chauffierte. Drei Monate später war er privat in New York und sah in einem Restaurant zufällig John Zorn beim Essen. Prompt habe ihn der Avantgarde-Musiker wieder erkannt. «Ich wollte in den bekannten Jazz-Club Knitting Factory. Zorn ist gleich mitgekommen, und wir haben einen guten Abend in New York verbracht.»
Hans Steinger, Vater eines 22-jährigen Sohns, ist gelernter Textilkaufmann. Er hat über die Jahre in diversen und guten Manager-Jobs gearbeitet. Regelmässig schaltete er Time-outs von mehreren Monaten dazwischen, in denen er nach Nepal, Pakistan und Tibet trecken ging, zu Hause im Ostergau sein Bauernhaus stilvoll renovierte, einen Weinberg anpflanzte, einen Boule-Platz anlegte, als Handlanger im Gartenbau arbeitete, einem Bauern beim Holzen half – oder sich Zeit nahm für Leute, denen es gerade nicht so gut ging.
Als kommunikativer und offener Typ ist Steinger prädestiniert, die teils extravaganten Jazz-Persönlichkeiten je nach Anspruch auch gut zu betreuen. «Beim Abholen am Flughafen merkst du schnell, wie die Musiker drauf sind und ob sie reden wollen oder nicht. Ich kann mich da gut anpassen.» Er hat auch schon Musiker transportiert, die er nie mehr fahren würde, weil sie sich derart mackermässig und rassistisch benahmen. Über Namen schweigt des Sängers Höflichkeit. Lieber erzählt Steinger von Musikern, die er ins Herz geschlossen und auch schon mal zu sich nach Hause eingeladen hat. «Auf meinen Reisen habe ich es immer geschätzt, wenn ich mal ein paar Stunden privat bei Einheimischen verbringen konnte. Das sind authentische Erlebnisse.» John Zorn sass in seiner Stube, Han Bennink («Uh, das wurde spät»), Mark Helias («ein ausgezeichneter Weinkenner»), Dave Douglas und viele andere wie Egberto Gismonti oder Vernon Reid, Doug Wimbish und Will Calhoun von Living Color.
In den früheren Jahren sei es manchmal ziemlich wild zu und her gegangen, sagt Steinger auf eine entsprechende Frage. «Ich habe auch Groupies gefahren oder sie frühmorgens zusammen mit einem Musiker aus dem Hotelbett geholt, damit dieser den Flug nicht verpasste.» Auch sonst sei Backstage oder privat mit den Musikern häufig tüchtig gefeiert worden.
Diese Zeiten sind vorbei. Das straffer gewordene Business erlaubt es nicht mehr, dass die Musiker mehrere Tage in Willisau bleiben. «Sie werden von den Agenturen in der Regel in einem engen Zeitplan durch Europa geschleust. Die Musiker kommen manchmal schon müde an und müssen anderntags gleich weiter. Da liegen keine grossen Partys oder Rauschzustände mehr drin.»
Steinger erinnert sich an eine Taxifahrt mit dem New Yorker Gitarristen Marc Ribot, den er schon wiederholt und gerne abgeholt hat. Einmal sei dieser bei der Ankunft in Kloten so müde gewesen, dass er im Auto sofort eingeschlafen und erst bei der Ankunft im Hotel aufgewacht sei. «Es war ihm nicht recht. Er hat sich sehr entschuldigt, dass er sich auf der Fahrt so unkommunikativ gezeigt habe.»
Dieses Jahr hat Steinger für das Jazz Festival eine Woche Ferien genommen und am Samstag begonnen, beim Aufbau mitzuhelfen. Seit 2011 managt er auch die Helfercrew von 150 Leuten. Daneben ist er weiterhin Taxifahrer, was ihm schon mal einen 15-Stunden-Arbeitstag bescheren kann. Ohne Herzblut für «Willisau und all that Jazz» sind solche Leistungen nicht zu erbringen.
Als Taxifahrer übernimmt Steinger gerne die «schwierigen Fälle». Das seien oft ältere Musiker, die man ein bisschen pflegen und hegen müsse. Ganz besonders stolz ist er auf die zwei Tage, die er 2000 als Fahrer mit dem Free-Pianisten-Giganten Cecil Taylor verbringen konnte. Natürlich reut es ihn sehr, dass Taylor den diesjährigen Auftritt kurzfristig absagen musste. «Ich hätte ihn sehr gerne wieder getroffen.»
Steinger war damals zum eigentlichen Assistenten des Pianisten geworden und hatte ihn mit dem eigenen Mercedes chauffiert. Am Abend vor dem Auftritt wurde er mit dem Musiklehrer an der Kantonsschule Sursee, wo Taylor probte, an die Hotel-Bar eingeladen. «Wir tranken mehrere Flaschen Champagner. Cecil erzählte von seinen Zeiten mit Miles Davis und John Coltrane, unglaubliche Geschichten. Wir konnten nur ab und zu ein Stichwort geben, und dann ging es los. Wir waren so hungrig nach seinen Storys.»
Am nächsten Morgen früh spielte Taylor nochmals fast zwei Stunden in der Festhalle, während Steinger das Frühstück vorbereitete und ihm auf einem kleinen Tischchen am Flügel servierte. Steinger frohlockt: «So habe ich in knapp zwei Tagen drei Cecil- Taylor-Konzerte genossen. Es war einfach das Ober-Highlight.»