In die Diskussion um die verbotene Betveranstaltung schaltet sich der Churer Bistumssprecher ein – mit einem spöttischen Brief an die Regierung. Der Verein «Marsch fürs Läbe» gibt derweil das Alternativprogramm bekannt.
Adrian Venetz
adrian.venetz@obwaldnerzeitung.ch
«Ich gratuliere Ihnen!» So beginnt der Schriftsteller und Churer Bistumssprecher Giuseppe Gracia seinen offenen Brief an die Obwaldner Regierung. Beim Weiterlesen wird allerdings rasch klar, dass Gracia in Sachen Ironie aus dem Vollen schöpft und dem regierungsrätlichen Entscheid mit Spott begegnet. «Lieber Regierungsrat, Sie haben richtigentschieden: gegen die Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit und für die öffentliche Ruhe», schreibt Gracia. «Ich finde überhaupt, die Schweiz sollte ruhiger werden. Das Ausüben der Grundrechte ist eine schöne Sache, aber diese Kreise, die am Laufmeter gegen etwas protestieren, können sie nicht mal eine Pause einlegen?»
In den USA oder in Deutschland geschehe es immer öfter, dass «ein umstrittenes Podium oder eine Demo erfolgreich verhindert wird, indem im Vorfeld laute Gegendemos angekündigt werden – bis der Veranstalter einknickt und die Sache fallen- lässt. Genau wie Sie, lieber Regierungsrat.» Gracia gibt der Regierung auch einen Tipp, wie sie mit dem Vorwurf umgehen soll, in Obwalden werde «die Meinungsäusserungsfreiheit auf dem Altar der Angst» geopfert. «Hören Sie nicht darauf, Sie können einfach entgegnen, dass selbst Diktaturen gewisse Ruhetage respektieren.» Ironisch hält Gracia weiter fest, er rufe «alle Gemeinden und Kantone des Landes dazu auf, sich an Obwalden ein Vorbild zu nehmen und sämtliche politische Aktionen zu verbieten, welche eine potenzielle Ruhestörung darstellen».
Auf dem katholischen Nachrichtenportal «kath.net» und in den sozialen Netzwerken erhält Gracia für seinen offenen Brief viel Lob von Gleichgesinnten, die mit der Obwaldner Regierung ebenfalls hart ins Gericht gehen.
Angesprochen auf Giuseppe Gracias Brief, sagte der zuständige Regierungsrat Christoph Amstad gestern, er habe dieses Schreiben eher mit einem Schmunzeln gelesen. Nicht gelten lässt Amstad den Vorwurf, wonach der Regierungsrat angesichts drohender Gegendemonstrationen eingeknickt sei. «Wir sind im Jubiläumsjahr von Bruder Klaus. Der Bettag wird viele Leute anziehen, auch in Flüeli-Ranft.» Der Regierungsrat gewichte «die Interessen unbeteiligter Pilger und Reisender, die am Bettag an diesem besonderen Ort im Jubiläumsjahr Besinnung und inneren Frieden suchen, höher als das Recht des Vereins an der Durchführung der Veranstaltung». Gemäss Amstad hat die Regierung in den vergangenen Tagen «einige kritische Reaktionen erhalten».
Zur Erinnerung: Sachseln und Kerns hatten den Plänen des Vereins «Marsch fürs Läbe» einen Strich durch die Rechnung gemacht und eine geplante Versammlung am Bettag in Flüeli-Ranft nicht bewilligt. Die Abtreibungsgegner beschwerten sich daraufhin bei der Regierung, doch diese stützte den Entscheid der Gemeinden – auch wegen Bedenken, linksautonome Kreise könnten die Betveranstaltung massiv stören. Nicht ohne Grund: Bei früheren Gebetstreffen in Schweizer Städten musste ein Grossaufgebot der Polizei die Abtreibungsgegner schützen. Neben akustischen Störmanövern mit Drucklufthupen und Trillerpfeifen kam es auch zu tätlichen Auseinandersetzungen. So wurden beispielsweise mit Wasser gefüllte Kondome in die Versammlung der Betenden geworfen. Linksautonome Kreise werfen dem Verein «Marsch fürs Läbe» christlichen Fundamentalismus, Nationalismus und patriarchale Ansichten vor und rufen dazu auf, die Versammlungen zu stören.
Der Verein organisiert sich am Bettag nun offenbar dezentral. Er hat auf seiner Website bislang sieben alternative Gebetsveranstaltungen für den 17. September publik gemacht, so beispielsweise in den Kantonen Zug, Zürich und Schwyz. Auch Flüeli-Ranft gehört weiterhin dazu, allerdings ohne organisierte Versammlung. Es heisst lediglich: «Individuelles Gebet im Flüeli (ganztags)». Mit Orts- und Zeitangabe neu im Programm ist eine «Gebetswanderung auf den Gubel» mit Start im Dorfzentrum von Menzingen ZG. Nichts davon wusste gestern auf Anfrage der Menzinger Gemeindepräsident Peter Dittli. «Auch im Rathaus hat niemand Kenntnis davon.» Der Gemeinderat werde dies aber sicher besprechen und gemeinsam mit der Polizei abklären, ob Massnahmen erforderlich seien. Allzu grosse Sorgen macht sich Dittli aber nicht, zumal der Verein nun zum Beten an verschiedenen Standorten aufgefordert habe und nicht alle Mitglieder nach Menzingen rufe. «Verbieten könnte man eine solche Gebetswanderung ja ohnehin nicht», so Dittli.
Weiter lädt der Verein «Marsch fürs Läbe» am Bettag seine Mitglieder und Sympathisanten dazu ein, in der Pfarrkirche Steinen SZ zu beten. Den Gottesdienst hält Dorfpfarrer Rudolf Nussbaumer. Dieser sagt auf Anfrage, der Verein habe ihn kontaktiert und gefragt, ob man den Gottesdienst auf der Website des Vereins publizieren dürfe. Er sehe kein Problem darin, so Nussbaumer. «Wer nach Steinen kommen will, um zu beten, darf dies gerne tun.»