Miserable Hygiene und schlechte Organisation im Asylzentrum Glaubenberg wirft eine Ex- Mitarbeiterin den Betreuern vor. Die Firma spricht von einem «Qualitätssystem».
Christoph Riebli
«Dort oben ist niemand richtig für etwas zuständig.» Und: «Es ‹seikelet› bestialisch in diesen Häusern», sagt Romy von Wyl aus Alpnach. Die 56-Jährige arbeitete zwei Tage im Bundesasylzentrum auf dem Glaubenberg. Dann kündigte sie. Das war Mitte Woche. «Die ganze Organisation ist eine Katastrophe!», blickt die Fachfrau Betreuung zurück. Sie spart dabei nicht mit Kritik an ihrem ehemaligen Arbeitgeber, der ORS Service AG, die ihr Geld mit der Betreuung und Unterbringung von Asylsuchenden verdient. Die Firma betreut derzeit schweizweit über 50 Asylunterkünfte sowie in über 500 Wohnungen rund 5000 Asylsuchende.
«Es macht mich rasend, dass die Angestellten mit Wenigtun einen Lohn aufs Konto bekommen.» Und weiter: «Ich bin geschockt, wie mit unseren Steuergeldern umgegangen wird», enerviert sich von Wyl. Die Arbeit bleibe liegen, und doch jammerten alle, wie streng es und wie unterbesetzt man sei. «Wenn man schon Asylsuchende betreut, sollte man auch richtig zu ihnen schauen», ist sie überzeugt. «Die hygienischen Zustände sind haarsträubend.» Sie beschreibt im Gespräch mit unserer Zeitung etwa auch Urin-überflutete WC-Anlagen.
Jeder der rund 17 Angestellten picke sich nur Aufgaben heraus, bei denen er oder sie sich wohl fühle. «Ich bin eine Macherin und wollte putzen.» Doch selbst an Putzmaterial fehlte es. «Eine solche Firma sollte doch Konzepte haben, die sie von anderen Standorten übernehmen kann», wundert sie sich über den «Lotterbetrieb». Immer wieder habe die Führung von «flacher Hierarchie» gesprochen. In Tat und Wahrheit herrschten fehlende Kontrolle und Zuständigkeiten.
Von den etwa 430 Bewohnern seien viele krank. «Sie lagen in den Gängen, mit ihren schlafenden und hustenden Kindern.» Sie wisse nicht, welche Krankheiten diese hätten, und wolle auch nicht übertreiben oder verängstigen. Doch: «Meine Gesundheit war mir am Schluss wichtiger, darum habe ich mich möglichst schnell verabschiedet.» Dies auch, nachdem mehrere ihrer Mitarbeiter erkrankt seien.
Sorgen macht sich Romy von Wyl wegen des Langlauflagers zwischen Weihnachten und Neujahr: «Ich schätze die Situation für die Jugendlichen auf dem Areal zusammen mit den Asylsuchenden als verantwortungslos und unzumutbar ein.»
Bezüglich Krankheiten beschwichtigt der Obwaldner Hausarzt Nicolas Arquint, der mit einer «gut ausgelasteten» Pflegefachfrau die medizinische Grundversorgung des Bundesasylzentrums sicherstellt: «Sehr viele Leute sind krank, aber nicht schwer krank. Wir sind wachsam und schauen für ständige Verbesserungen.» Martin Reichlin, Sprecher des Staatssekretariats für Migration (SEM), ergänzt: «Bisher wurden ausschliesslich Personen mit normalen, saisonalen Erkältungs- und Grippesymptomen behandelt.»
Die Gefahr von schwer ansteckenden Krankheiten sieht Nicolas Arquint eher weniger: «Die medizinische Vorabklärung passiert in den Auffangzentren.» Gerade dort habe man ein wachsames Auge etwa auf allfällige Tuberkulose-Fälle, wie es sie beispielsweise in Deutschland gebe.
«Die Vorwürfe der ehemaligen Mitarbeiterin wiegen schwer. Wir gehen derzeit jedem einzelnen nach», versichert ORS-Sprecher Roman Della Rossa auf Anfrage. Die ORS-Mitarbeiter würden angesichts der derzeit schwierigen Situation im Asylbereich eine «Herkulesaufgabe» verrichten, «notabene sehr motiviert». Sie täten seit Wochen ihr Menschenmögliches. Und: «Die zahlreichen Vorwürfe treffen sie», so Della Rossa.
ORS sei es sich gewohnt, kurzfristig Unterbringungsstrukturen zu eröffnen sowie sehr schnell qualifiziertes Personal zu rekrutieren. Auch sei die Betreuung von Beginn an klar strukturiert gewesen. Die Sprache ist von einem «erprobten Qualitätssystem». «Gleichzeitig ist uns bewusst, dass sich bei einem raschen Betriebsstart die Abläufe innerhalb eines Teams zuerst einspielen müssen.» Gerüchte, wonach die Zentrumsleitung kürzlich gewechselt haben soll, dementiert der ORS-Sprecher.
Spricht man mit Direktbetroffenen, sehen Bedürfnisse und Wahrnehmungen wieder anders aus. Der 21-jährige Iraker Jasm wartet mit seinem jüngeren Bruder an der Bushaltestelle Ei auf den Rücktransport ins «Camp»: «Dort ist es kein Problem. Es ist gut für uns. Nicht aber für kleine Kinder. Für uns sind Transfers ein Problem. Es gibt zu wenig Transporte», sagt er uns gegenüber in gebrochenem Englisch. Neben ihm steht Javad (25) aus Afghanistan. «Wir müssen immer in einer Linie warten. Beim Essen, für den Doktor, beim WC», zählt er auf, «Linie, Linie, Linie, den ganzen Tag.» Dabei gebe es stets Streitigkeiten mit Syrern. Zudem schmeckt ihm das Essen nicht sonderlich, Toiletten habe es wenige, und sie seien «schlecht». Jasm und sein Bruder hingegen haben kein Problem damit, ihnen schmeckt auch das Essen. Einzig das ständige Schlangestehen nervt auch sie. Und die Streitigkeiten.
«Mittlerweile hat sich der Betrieb – nach einer für Zentren dieser Grösse äusserst kurzen Startphase – gut eingespielt», sagt SEM-Sprecher Martin Reichlin zur allgemeinen Lage. «Punktuelle» Probleme habe man gelöst: «Die Reinigung des Zentrums durch die Asylsuchenden wurde von zwei auf drei Touren pro Tag verstärkt. Ebenso bei den Toiletten- und Duschanlagen.» Und zum Durchgangsverkehr: Bis heute habe man mehr als 600 Personen vorübergehend auf dem Glaubenberg einquartiert.