Bestens gelaunt standen 7800 Zuschauer gestern am frühen Nachmittag an der Titlis-Schanze. Eine Trychlergruppe und eine Guuggenmusig sorgten für die akustische Stimmung. Mindestens eine Top-Ten-Platzierung eines Schweizers lag in der Luft.
Das dachte sich auch Ex-FCL-Spieler Daniel Wildisen (53), der als ehemaliger Trainer des Engelberger Sportclubs wie jedes Jahr das Weltcup-Skispringen vor Ort mitverfolgte. An seiner Seite ESC-Ehrenpräsident Heinz Imboden und dessen Ehefrau. Helen Imboden hoffte: «Vielleicht springt Simi Ammann nach vorne.»
Im VIP-Zelt kümmerte sich die frühere Frau Talammann Martha Bächler wie stets sehr engagiert um die 560 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Sport. Der prominenteste und zugleich wichtigste Gast war zweifellos Bundesrat Ueli Maurer (65). Er nutzte den Anlass, um sich mit den Regierungsräten der sechs Zentralschweizer Kantone zu treffen. Der Bundesrat hat zugesagt, die Bewerbung für die Universiade 2021 in Luzern und in der Innerschweiz zu unterstützen. Maurer: «Das ist ein sehr gutes, wohl überlegtes Projekt. Für Luzern eine Chance, sich als Universitätsstadt sportlich und infrastrukturell zu profilieren.» Es dürfte nur eine Formsache sein, dass die Zentralschweiz am 5. März 2016 den Zuschlag für den internationalen Sportanlass bekommt.
Doch dann wandte sich der SVP-Bundesrat wieder der Schanze zu. Als einstiger Junioren-Skispringer (Bestweite 61 Meter) und Noch-Chef des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) steht er Simon Ammann und Gregor Deschwanden nahe. «Als Sportsoldat ist Gregor noch für ein paar Tage mein Angestellter. Simon ist seit Jahren ein guter Freund», sagte Maurer, der ab 1. Januar dem Finanzdepartement vorsteht.
Maurer glaubte ebenfalls an eine gute Rangierung von Ammann. «Engelberg liegt Simon.» Er ahnte aber, dass es kein Podestplatz wird. «Für die ersten drei reicht es noch nicht.» So war es denn auch. Maurer übergab am Schluss die Siegerpreise an die slowenischen Brüder Peter und Domen Prevc und an den 43-jährigen Japaner Noriaki Kasai.
Trotz dem enttäuschenden Abschneiden der Schweizer – Platz 21 von Ammann und Platz 30 von Deschwanden – meinte Maurer, der Weg nach Engelberg habe sich für ihn wie immer gelohnt. «Mir gefällt hier dieser spezielle Dorffest-Charakter.» Dazu passte, dass im Festzelt nebenan «ChueLee» der örtlichen Jugend einheizte.
Obwohl die Stimmung beim Grossteil des Publikums abkühlte, gab es doch immer noch einigen Sonnenschein auf den umliegenden Bergen – und auf den Gesichtern einzelner Zuschauer. So zog zum Beispiel der Zuger Brandschutzspezialist Walter Oeschger zufrieden an seiner grossen Zigarre und beobachtete die Flüge der Springer. «Wir haben hier ein Ferienhaus und gehen jedes Jahr ans Springen», sagte er lächelnd.
Etwas ernüchtert war dagegen der Simon-Ammann-Fan Felice Pastorino. Er war extra aus Steffisburg im Berner Oberland angereist, um seinen Liebling im Einsatz zu sehen. Neben der Skijacke und dem Käppi, die er letztes Jahr vom zweimaligen Doppel-Olympiasieger geschenkt bekommen hatte, trug er eine Simi-Fahne bei sich. Zum Konterfei des Idols hatte er mit wasserfestem Filzstift geschrieben: «Bester Schweizer Skispringer aller Zeiten.»
Für den 74-jährigen Pensionär Pastorino bleibt Ammann trotz der gestrigen Enttäuschung ein Idol zum Anfassen: «Simon fasziniert mich wegen seiner Persönlichkeit. Er ist offen und immer zugänglich.» Und ausserdem bleibt die Hoffnung für das zweite Springen von heute. Pastorino reist wieder an. Wie zigtausend andere Zuschauer auch.
1. springen dw. Während die Schweizer mit Simon Ammann (21.) und Gregor Deschwanden (30.) für das schlechteste Ergebnis in Engelberg seit 2012 sorgten, konnten sich zwei andere Nationen über hervorragende Leistungen ihrer Athleten freuen. Das Brüderpaar Peter (23) und Domen Prevc (16) feierte einen Doppelsieg für Slowenien. Der immer noch topfitte Japaner Noriaki Kasai (43) sprang im zweiten Durchgang mit einem 134-Meter-Satz von Platz 12 auf 3.
Eine Klasse für sich war aber Peter Prevc. Vor allem mit seinem ersten Sprung auf 139,5 Meter deklassierte er den Rest des Feldes. Dabei fehlten ihm nur 2,5 Meter zum Schanzenrekord von Sigurd Pettersen aus Norwegen im Jahr 2008 (142 Meter).
Der ältere der beiden Prevc-Brüder baute damit seine Führung im Weltcup auf Severin Freund (27) aus. Der deutsche Weltmeister und letztjährige Gesamtsieger wurde lediglich Achter.
Die besondere Geschichte am ersten der beiden Springen in Engelberg schrieben aber der älteste und der jüngste Teilnehmer. Als Noriaki Kasai 1999 zum ersten und bis gestern einzigen Mal auf das Podest der Titlis-Schanze sprang, war Domen Prevc gerade mal ein halbes Jahr alt. 16 Jahre später ist er hinter seinem Bruder erstmals auf ein Weltcup-Podium gesprungen – und Kasai schaffte es als 43-Jähriger auch unter die ersten drei.
Der Kontrast könnte grösser nicht sein: hier das Milchbubi-Gesicht des Jünglings, dort das vom Leben gezeichnete Antlitz des Japaners. Kasai genoss es sichtlich, im Mediencenter vor die Journalisten zu treten: «Ich liebe Engelberg und die netten Leute hier.» Kasai versprach, dass er nächstes Jahr wieder als Starter kommen wolle. 44 Jahre ist ja dann für ihn immer noch kein hohes Spitzensportleralter ...
Angefressen war dagegen Simon Ammann wegen seines 21. Platzes: «Ich war zu früh am Absprung.» Entschuldigend meinte er: «Es sind halt kleine Schritte, die ich mache. Die Resultate sind nicht befriedigend.»
Noch schlechter war der Horwer Gregor Deschwanden klassiert. Auf Rang 30 belegte er den letzten Platz im Finaldurchgang, für den er einen Weltcup-Punkt bekam. Scherzhaft meinte er: «Das ist immerhin ein Punkt mehr als im Vorjahr.» Damals war er wie heuer Killian Peier (33.) und Luca Egloff (38.) nicht für den zweiten Sprung qualifiziert. Für Deschwanden ist das natürlich nur ein schwacher Trost: «Ich bin enttäuscht, habe heute meinen guten Sprung nicht gefunden. Jetzt bleibt mir nur noch die Hoffnung auf Besserung am Sonntag.»
Weltcup. Grossschanze. Schlussklassement:
1. Peter Prevc (Sln) 297,1 (139,5 m/134 m). 2. Domen Prevc (Sln) 283,5 (133,5/134). 3. Kasai (Jap) 273,5 (131,5/134). 4. Freitag (De) 272,3 (132,5/128,5). 5. Gangnes (No) 271,6 (127/135). 6. Fannemel (No) 271,5 (133/128). 7. Kraft (Ö) 269,8 (132,5/127,5). 8. Freund (De) 265,7 (133/126). 9. Hayböck (Ö) 264,7 (129/129). 10. Fettner (Ö) 264,3 (131,5/130,5). – Ferner: 20. Stoch (Pol) 246,8 (130,5/118). 21. Ammann (Sz) 245,8 (128/125). 30. Deschwanden (Sz) 233,7 (122,5/120). – Nicht im Finaldurchgang: 33. Peier (Sz) 114,8 (124). 38. Egloff (Sz) 108,6 (120). – u. a. nicht am Start: Schlierenzauer (Ö).
Stand nach dem 1. Durchgang: 1. Peter Prevc 151,4 (139,5). 2. Freitag 138,5 (132,5). 3. Domen Prevc 138,2 (133,5). 4. Kraft 137,8 (132,5). 5. Fannemel 137,7 (133). 6. Freund 135,5 (133). – Ferner: 18. Ammann 123,9 (128). 28. Deschwanden 118,7 (122,5).
Weltcup-Stand (9/32): 1. Peter Prevc 464. 2. Freund 359. 3. Gangnes 310. 4. Tande (No) 251. 5. Forfang (No) 234. 6. Freitag 179. – Ferner die Schweizer: 17. Ammann 99. 23. Deschwanden 52. 50. Peier 2.
Heute, 12.45: Qualifikation. – 14.15: 1. Durchgang, anschliessend Finaldurchgang der besten 30.
Rahmenprogramm: Rund ums Skispringen gibt es weitere Events und Partys auf dem Wettkampfgelände und im Dorf. Die Festwirtschaft auf dem Schanzengelände ist heute ab 10.30 geöffnet. Ticketpreise. Stehplätze. Erwachsene: Pro Wettkampftag 35 Franken. Jugendliche (12 bis 15 Jahre): Pro Wettkampftag 25. Kinder: In Begleitung Erwachsener gratis.
Daniel Wyrsch