Immer häufiger sind Spitäler und Behörden gezwungen, Dolmetscher hinzuzuziehen. Diese müssen nicht nur übersetzen, sondern oft auch zwischen den Kulturen Brücken schlagen.
Stellen Sie sich vor, Sie sind Arzt und müssen einem Patienten eine schlimme Diagnose mitteilen. Und es fehlen Ihnen die Worte, weil der Patient weder deutsch spricht, noch eine andere Landessprache, noch englisch. Stellen Sie sich vor, Ihr Kind hat Probleme in der Schule, doch Ihr Deutsch ist nicht gut genug, um zu verstehen, welche Massnahmen die Schulleitung vorschlägt.
Solche Fälle gibt es immer häufiger. In der Schweiz leben mehr als 200 000 Menschen, die keine der Landessprachen beherrschen. Wir sind nicht viersprachig, sondern vielsprachig. Längst sprechen mehr Menschen portugiesisch, albanisch oder türkisch als rätoromanisch. Gerade für öffentliche Institutionen ist das ein Problem. Immer häufiger arbeiten Spitäler, Beratungsstellen und Behörden deshalb mit geschulten Dolmetschern zusammen, mit Menschen wie Najat El Misky-El Daou. Die 54-Jährige arbeitet seit bald 20 Jahren als interkulturelle Dolmetscherin und Vermittlerin beim Dolmetschdienst Zentralschweiz der Caritas Luzern (siehe Kasten).
Wie die meisten ihrer Berufskollegen hat El Misky-El Daou einen Migrationshintergrund. Sie ist im Libanon geboren und aufgewachsen. In die Schweiz kam sie 1991 als erwachsene Frau. Über die genaueren Umstände ihrer eigenen Migration möchte El Misky-El Daou nicht reden, lieber spricht sie über ihren Werdegang als Dolmetscherin.
Als sie nach Luzern kam, sprach sie neben ihrer Muttersprache Arabisch auch französisch und englisch, allerdings kaum ein Wort Deutsch. Die Sprache lernte sie in Eigeninitiative, mit Privatlektionen und viel Fleiss. Bald sprach sie so gut deutsch, dass sie als Dolmetscherin für Arabisch und Französisch zu arbeiten begann. Die Professionalisierung ihres Berufs erlebte sie hautnah mit. Sie besuchte Weiterbildungen, Module, Supervisionen, erwarb Diplome und Zertifikate und machte den eidgenössischen Fachausweis.
In manchen Fällen genüge es nicht, einfach zu übersetzen, sagt El Misky-El Daou. Manchmal brauche es eine Brücke, damit ein Gespräch überhaupt möglich werde. «Die Schweizer sind sehr direkt», sagt Najat El Misky-El Daou. Für Menschen aus dem arabischen Raum sei dies oft ungewohnt. Sie gibt ein Beispiel, wie es immer wieder vorkommen kann: Ein Mann aus Syrien bricht in einem Gespräch wiederholt in Tränen aus. Die Sozialarbeiterin wird mit der Zeit ungeduldig und reagiert wirsch. Für El Misky-El Daou ist es ein Moment, um aus ihrer Dolmetscherrolle herauszutreten und eine aktive Vermittlerrolle zu übernehmen. Aus der interkulturellen Dolmetscherin wird eine interkulturelle Vermittlerin – auch dafür besitzt sie ein Diplom.
Heinz Nauer
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