Sie ist Bauerntochter, schwingt, spielt Schwyzerörgeli. Ein typisches «Heidi»? Die Schwyzer Schwingerkönigin Sonia Kälin demontiert Klischees und erklärt, was ihr die Schweiz bedeutet.
Musikalisch: Sonia Kälin in der Sendung «Potzmusig» am Samstag, 31. August 2013: www.luzernerzeitung.ch/bonus
Interview Kari Kälin
Die Schweiz war nie eine Monarchie. Als gänzlich regentenfreie Zone kommt unsere Direktdemokratie gleichwohl nicht aus. Dafür verantwortlich ist zum Beispiel Sonia Kälin, Schwingerkönigin des Jahres 2012. Die zierliche, 30-jährige Sekundarlehrerin empfängt uns in ihrem Elternhaus, einem Bauernhof in Egg am Etzel, der an einer beliebten Wanderroute liegt. Hügel verstellen den Blick auf den Sihlsee, dafür scheinen die Schwyzer Berge zum Greifen nahe, und die Glocken des Klosters Einsiedeln sind unüberhörbar. Kälin ist eine Art wandelnde Symbiose von Tradition und Moderne. Einen Auftritt mit Schwyzerörgeli in der Sendung «Potzmusig» meistert sie ebenso stilsicher wie den Promitanzkurs in der Sendung «Glanz & Gloria» mit Ex-Miss-Schweiz Dominique Rinderknecht als Konkurrentin. Am Wochenende legt Kälin meist schwerere Frauen auf den Rücken, werktags bringt sie den Oberstufenschülern in Einsiedeln Französisch, Englisch, Geschichte und anderes bei.
Unserer Zeitung gewährt Kälin, sprachtalentierte und fotogene Botschafterin des Frauenschwingens, zum Nationalfeiertag ein Gespräch über ihre Beziehung zur Schweiz.
Sonia Kälin, vor einigen Jahren haben Sie mit der Formation Iwanmusik am 1. August in der Schweizer Botschaft in Moskau mit dem Schwyzerörgeli die Landeshymne gespielt. Was hat Ihnen das bedeutet?
Sonia Kälin: Die Reise nach Moskau war generell ein grossartiges Erlebnis. Unser Hotel lag gegenüber dem Kreml, jeden Abend traten wir in einer Bar vor Schweizer Gästen auf. In der Botschaft ist mir beim Spielen der Landeshymne ein Fehler unterlaufen, der mich damals enorm geärgert hat. Der Botschafter nahm mir den Misston zum Glück nicht übel.
Die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft hat einen Wettbewerb für eine neue Landeshymne lanciert. Brauchen wir das?
Kälin: Die aktuelle Hymne gefällt mir nicht. Sie klingt nicht harmonisch, ist schwierig zu spielen und zu singen. Ich würde eine peppigere Variante und einen neuen Text begrüssen.
Am 1. August ergründen Politiker landauf, landab das Wesen der Schweiz. Interessieren Sie diese Reden?
Kälin: Nicht brennend. Die Reden sind oft austauschbar, wenig aussagekräftig und auf Wahlkampf getrimmt. Ich kümmere mich um die Politik, stimme ab und ermuntere meine Schüler, dies später auch zu tun. Aber ich finde es spannender, wenn Personen wie die Einsiedler Jodlerin Nadja Räss am Nationalfeiertag ihre Gedanken über die Schweiz formulieren. Damit kann ich mich besser identifizieren.
Vor zwei Jahren haben Sie in Einsiedeln selber eine 1.-August-Ansprache gehalten. Würden Sie das gerne wiederholen?
Kälin: Vorläufig nicht. Ein entsprechendes Angebot aus dem Kanton Luzern habe ich abgelehnt.
Weshalb?
Kälin: Die Rede in Einsiedeln lag mir lange auf dem Magen. Ich zerbrach mir fast den Kopf. Was für eine Botschaft sollte ich bloss vermitteln? Wie würde das Publikum reagieren? Ein Kollege und meine Mutter lasen den Entwurf. Ich erhielt eine positive Rückmeldung. Meine Mutter meinte, die Einsiedler würden bestimmt keine Tomaten werfen, sondern höchstens ein bisschen dezenter klatschen.
Ihre Rede kam gut an, das Volk hat ordentlich applaudiert. Unter anderem haben Sie gesagt, man könnte Sie für ein typisches «Schwiizer Heidi» halten. Verkörpern Sie wirklich so viele Klischees?
Kälin: Nun, ich bin in einer Bauernfamilie aufgewachsen, wohne in den Bergen, liebe die Natur, reite, spiele Schwyzerörgeli und schwinge wie bereits mein Vater. Zudem mache ich Werbung für Emmentaler Käse. Das ist eine geballte Ladung Postkarten-Schweiz. Aber ich habe auch die andere Seite von mir betont. Dass man mit dem Schwyzerörgeli moderne Stücke inszeniert, als «Landei» mit kurzen, blond gefärbten Haaren unterwegs ist, als Sekundarlehrerin Fremdsprachen beherrscht, sie im Ausland gelernt hat und weltoffen ist.
Apropos Heidi: Gibt es heute noch Fräulein-Rottenmeier-artige Kritik am Frauenschwingen?
Kälin: Wir werden teilweise immer noch belächelt, die Nörgler sind aber eine tendenziell aussterbende Spezies. Wir trainieren seriös, beherrschen die Technik und werden deshalb immer mehr respektiert. Mein Vater stieg jeweils ohne Aufwärmen in den Sägemehlring. So etwas ist für mich unvorstellbar.
Welche Traditionen halten Sie für typisch schweizerisch, was macht die Schweiz lebenswert?
Kälin: Die Trachten, die Alphörner, die Folklore, das Schwingen und vieles mehr. Mir gefallen die Gegensätze. Die Schweiz ist ein international extrem vernetztes Land, das Weltkonzerne beherbergt und gleichzeitig ihre Traditionen pflegt. Und natürlich schätze ich Eigenschaften wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, aber auch Gastfreundschaft.
Am 1. August sind Schulferien. Würden Sie gerne eine Lektion zum Nationalfeiertag gestalten?
Kälin: Natürlich. Als Erstes müssten die Schüler ausrechnen, den wievielten Geburtstag unser Land feiert. Für die grossen Themen der Schweizer Geschichte gibt es im Lehrplan an der Oberstufe unabhängig vom Datum genug Raum. Das ist gut so, denn man muss die Vergangenheit kennen, um die Gegenwart zu verstehen und die richtigen Schlüsse für die Zukunft zu ziehen.
Interessieren sich 15-Jährige für Historisches?
Kälin: Die Schweizer Geschichte kommt gut an. Sie hat mit dem Rütli, den Schlachten, dem Sonderbundskrieg oder der Neutralität viel Spannendes zu bieten, das meiner Meinung nach auch unbedingt in den Stundenplan gehört. Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg begeistert die Schüler hingegen kaum. Da fehlt der persönliche Bezug.
Die Schweiz rühmt sich ihrer Viersprachigkeit. Sind Sie stolz, dass Sie als Französischlehrerin quasi einen Beitrag zum nationalen Zusammenhalt leisten?
Kälin: Ich weiss nicht, wie gross dieser Beitrag tatsächlich ist. Persönlich gefällt mir Französisch sehr gut. Es ist meine Lieblingsfremdsprache.
Wenn man an der Primarschule nur noch eine Fremdsprache unterrichten würde, sollte es Französisch oder Englisch sein?
Kälin: Ich plädiere für Französisch. Die Bedeutung dieser Landessprache wird manchmal unterschätzt. Dabei geht in der Berufswelt, etwa bei der kaufmännischen Lehre, gar nichts ohne Französisch.
Das Schwingen ist eine In-Sportart. Das Schweizer Fernsehen hat dieses Jahr zum ersten Mal den Brünig-Schwinget live übertragen. Wie kam es zu diesem Popularitätsschub?
Kälin: Es findet eine Rückkehr zum Bodenständigen statt, man besinnt sich auf seine Wurzeln, Swissness boomt. Das kommt dem Schwingsport zugute. Er steht für Werte wie Kollegialität, Fairness und Respekt. Der Sieger wischt dem Verlierer das Sägemehl vom Rücken, das ist eine edle Geste. Selbstverständlich profitiert der Sport auch von telegenen Aushängeschildern wie Kilian Wenger, Matthias Sempach oder Martin Grab.
Auch Sie sind eine perfekte Botschafterin für den Schwingsport. Werden Sie auf der Strasse angesprochen?
Kälin: Kürzlich hat mich jemand beim Einkaufen in Schwyz gefragt, ob ich nicht jene sei, die schwinge. Ansonsten kann ich mich frei bewegen, ich werde nicht behelligt. Wenn Schwingerkönig Matthias Sempach irgendwo auftaucht, wird er sofort von allen Seiten in Beschlag genommen. Das würde mir nicht behagen.
Sie sind dieses Jahr auf dem besten Weg zu ihrem zweiten Königstitel. Wie schaffen Sie es als Leichtgewicht eigentlich, deutlich schwerere Konkurrentinnen zu bodigen?
Kälin: Darüber staune ich manchmal selber. Entscheidend sind Technik, Wendigkeit und Ausdauer. Masse und Kraft allein genügen nicht. Schwere Gegnerinnen ermüden schneller. Da muss man geduldig warten, bis deren Konzentration nachlässt, und dann zuschlagen.
Würden Ihnen 20 Kilogramm mehr Gewicht aus sportlicher Sicht etwas bringen?
Kälin: Vermutlich schon. Aber es lohnt sich nicht, fürs Schwingen zuzunehmen auch aus optischen Gründen.
Name: Sonia Kälin
Wohnort: Egg SZ
Geburtsdatum: 9. März 1985
Beruf: Sekundarlehrerin
Zivilstand: ledig
Grösse: 1,71 m
Gewicht: 66 kg
Homepage: www.soniakaelin.ch