Kolumne Schnee von gestern
Wissen Vögel, wann Sonntag ist?

Unser Autor füttert leidenschaftlich gerne Vögel – obwohl er eigentlich weiss, dass man das auf keinen Fall tun sollte.

Hans Graber
Hans Graber
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Ganz über dem Berg bin ich noch nicht, aber ich kann nun wenigstens offen darüber reden. Es ist nicht gerade eine Sucht, aber in den letzten Jahren halt doch ein steter Drang, Vögel zu füttern. Mit Brot. Ich weiss, Brot steht in der Lebensmittelpyramide für Vögel weit oben. Man sollte es also vermeiden. Allerdings sind Lebensmittelpyramiden nicht in Stein gemeisselt. Wir Menschen kriegen ja offenbar bald eine neue, in «vegetarisierter» Form. Mit viel Chabis?

Dass Pyramiden überarbeitet werden, ist bester Beweis für deren Ungenauigkeit. Was heute gilt, kann morgen falsch sein. Ob jedoch Vogelernährungsfachleute jemals grünes Licht geben werden für die Verfütterung von Brot, halte ich für ausgeschlossen. Es herrscht Konsens, dass es für Vögel ungeeignet ist, weil es zu Blähbauch und Leberzirrhose führen könne. Teils beeinträchtige Brot auch den Bruterfolg, was ich natürlich keinesfalls möchte, denn dann würde sich am Ende die Katze in den Schwanz beissen. Wenn es keine Vögel mehr gibt, könnte ich auch keine mehr füttern.

Es ist nicht so, dass ich ihnen je Unmengen von Brot vorgesetzt hätte. Aber ich bin viel zu Hause und kann mich an den Vögeln erfreuen, die dank einiger grüner Flecken in städtischer Umgebung reichlich vorhanden sind. Spatzen, Buchfinken, Amseln, auch mal ein Rotbrüstchen und anderes mehr. Quasi als Dank lege bzw. legte ich für sie regelmässig die beim Brotschneiden anfallenden Krümel aufs Balkongemäuer. Da ich viel Brot esse und teils bewusst sehr krümelintensives Brot auswähle, kommt da schon ein Häufchen zusammen. Für ganze Schwärme würde es aber nirgendwohin reichen. Ich sehe es so als kleines Zubrot für eine Schar, die gerne mal etwas sündigt.

Vögel faszinierten mich, schon nur ihrer Langstreckenfliegerei wegen und auch wegen ihres Gesangs, für den es so wunderschöne Wörter wie «tirilieren» gibt. «Bei stiller Nacht erwacht so sehnend Singen» hat der Freiherr von Eichendorff in seiner «Morgendämmerung» gedichtet und meine Gefühlslage trefflich eingefangen. Noch nie aber hat es in der Schweiz ein Singvogel zum «Tier des Jahres» geschafft, diese Ehre wurde vielmehr Kreaturen wie dem Gartenschläfer, der Geburtshelferkröte oder auch der Gebänderten Prachtlibelle zuteil. Anzufügen ist, dass «Tiere des Jahres» meist vom Aussterben bedroht sind, wogegen es den Vögeln in meiner Nachbarschaft prächtig geht. Trotz Brot. Teils wird, wie bei Tauben, gar von einer Plage gesprochen, was mich aber nicht daran hindert, im Strassencafé auch noch dem hässlich-siechsten Turteltier mal ein Stückchen vom Gipfeli zuzuwerfen, wenn es um den Tisch herumhumpelt.

Meine Frau, das ökologische Gewissen des Haushalts, hat mich oft gedrängt, das Verfüttern von Brot zu unterlassen. Für eine mögliche Ersatzhandlung hat sie mal eine Körnermischung namens «Vogelglück» gekauft, doch die Vögel verschmähten dieses Glück und zogen das Brot eindeutig vor. Da meine Frau mit einem Herrn Vogel (!), der lange bei der Vogelwarte Sempach gearbeitet hat, zur Schule gegangen ist, hat sie ihm an der letzten Klassenzusammenkunft brühwarm von meiner Unsitte erzählt. Worauf dieser Herr Vogel trotz unlängst erfolgter Pensionierung ohne viel Federlesen ein mahnendes Mail geschickt hat, inklusive drohender Grossbuchstaben. Betreff «Vögel füttern: NEIN!»

Ich bin nun dem Frieden zuliebe allmählich dazu übergegangen, die Brotspeisung auf Sonn- und Feiertage zu beschränken. Am letzten Sonntag habe ich es erstmals ganz unterlassen. Mich dünkt, die Spatzen haben es diese Woche bereits klagend von den Dächern gepfiffen, dass bei mir vielleicht nichts mehr zu holen ist. Ob ich auch morgen wieder abstinent bleibe, weiss der Kuckuck. Aber mein Wille zum Guten ist auf alle Fälle da.