Sterbliche Hüllen werden zu Asche – Erwin Auf der Maur sorgt für den Betrieb im Krematorium Schwyz. Seine Aufgabe beschert dem Familienvater viele bereichernde Momente.
Andreas Faessler
Vor dem hochmodernen Verbrennungsofen steht ein schmuckloser Sarg auf einem schlichten Rollwagen. Im offenen Lift weitere drei. Auch sie werden an diesem Tag noch zu Staub. Der Raum ist freundlich hell, wirkt aber steril, ohne jegliche Zierde. Einzig zwei Topfpflanzen an der Wand vermögen die Nüchternheit dieser Halle ein wenig zu durchbrechen.
Das 1996 erbaute Krematorium Schwyz direkt neben der Autobahn am Fusse des Urmiberges ist ein Kleinbetrieb, der einzig dem Zweck dient, Verstorbene einzuäschern. Es gibt keine Katafalke, keine Abdankungshalle, keinen Andachtsraum. Die Särge werden angeliefert, im Kühlraum abgestellt, frühestens 48 Stunden nach Todeszeitpunkt mit dem Aufzug zum Verbrennungsofen gefahren, kremiert und als Asche in die Urne gegeben. Diese wird anschliessend vom Bestatter oder von den Angehörigen abgeholt.
Aber trotz dieses einfachen Prozesses ohne Feierlichkeiten läuft hier die Kremation der Verstorbenen – unter strenger Wahrung der Pietät – sehr würdevoll ab. Dafür sorgt Betriebsleiter Erwin Auf der Maur höchstpersönlich – und ganz allein. Soeben rollt er behutsam einen weiteren hellbeigen Holzsarg aus dem Aufzug und achtet darauf, dass er nicht etwa versehentlich irgendwo anstösst – aus Respekt vor der Totenruhe. «Ich gehe mit den Verstorbenen um, als würden sie schlafen. Unsauber zu arbeiten, könnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren», sagt der 44-jährige Schwyzer und betätigt per Knopfdruck die Hebevorrichtung. Schon gleitet der Sarg geräuschlos in den Ofen, und noch bevor die Luke sich wieder geschlossen hat, schiessen die Flammen empor und erfüllen ihren Zweck bei 800 bis 900 Grad.
Vor zehn Jahren übernahm Erwin Auf der Maur diese Aufgabe. Zuvor war er Rettungssanitäter. Er ist es gewohnt, dass der Tod seine Arbeit begleitet. «Ich war zwar sehr gerne bei der Ambulanz», sagt er rückblickend. «Es war aber ein harter Job, vor allem körperlich. Besonders schön war vor allem, wenn es Leben zu retten gab.» Nun ist es anders, im Krematorium ist niemand mehr zu retten. Aber die Tätigkeit ist entspannter. Für Auf der Maur ist sie weder morbid noch bedrückend, er geht damit pragmatisch um. «Könnte ich gedanklich nicht alles hinter mir lassen, wenn ich abends nach Hause gehe, dann wäre ich nicht der Richtige für diese Tätigkeit.» Der Tod gehört zum Leben, und zum Leben gehört der Tod. Die emotionale Distanz funktioniert für Auf der Maur, indem er die Hintergründe zur Todesursache der Verstorbenen meist nicht kennt – ja gar nicht kennen will. Das sei besser so und helfe bei der Verarbeitung.
«Nachdenkliche Momente erlebe ich hingegen, wenn ich jemanden habe, den ich kannte. Oder wenn ich einen Kindersarg kremieren muss», führt der Familienvater aus. Und dass er einen Verstorbenen gekannt hat, kommt angesichts des ländlich geprägten Einzugsgebiets nicht selten vor. «Dann hilft es, wenn ich zu mir sage, dass es sein letzter Wunsch ist. Und ich derjenige bin, der ihm diesen erfüllen darf.» Ohnehin bleibt der Prozess auch sonst nie ganz unpersönlich. Etwa ein einfaches gedachtes oder ausgesprochenes «So, dann wollen wir mal», respektvoll an den Eingesargten gerichtet, schafft eine Art Bezug zu diesem. «Ich sehe es so, als würde eine Puppe zum Schmetterling», beschreibt Erwin Auf der Maur die Kremation eines Toten. Er glaubt daran, dass es nach dem Sterben weitergeht, irgendwie.
Der Schwyzer hat täglich Menschen um sich, doch ist er meist der einzige Lebende. Dass jemand diesen Beruf so wie er mit Freude ausübt, mag für manchen schwer nachvollziehbar sein. «Ich schätze einerseits die Ruhe hier sehr, andererseits kann ich völlig selbstständig arbeiten. Und die Zeit geht täglich wie im Flug vorbei.» Langeweile kennt Erwin Auf der Maur nicht. Ohnehin umfasst seine Zuständigkeit weit mehr als die Einäscherung von Toten. Neben administrativen Arbeiten hält er das ganze Gebäude in Schuss, pflegt den Garten und den Vorplatz. Ein wichtiger Aspekt seines Berufs sind überdies die tägliche Zusammenarbeit mit den Bestattern und die Kontakte mit Angehörigen.
Wenn Familienmitglieder die in würdigem Rahmen bereitgestellte Urne abholen, erlebt Auf der Maur oft so bewegende wie bereichernde, aber auch überraschende Momente. «Jeder verarbeitet die Situation unterschiedlich. Während die einen ein angeregtes Gespräch beginnen, darin sogar richtig aufblühen und so ihre Gefühle verarbeiten, nehmen andere andächtig und wortlos die Asche entgegen oder lassen ihrer Trauer in diesem bewegenden Moment freien Lauf.» Auch schon sei die Urne eines ehemaligen Lastwagenfahrers feierlich mit dem Fahrzeug abgeholt worden, das er einst gelenkt hatte, schildert Erwin Auf der Maur ein Erlebnis. «Oder die Freunde eines leidenschaftlichen Berggängers kamen zu Fuss vorbei in voller Wandermontur und haben die Urne so mitgenommen.»
Die Sonne scheint durch die Oblichter auf den arbeitenden Verbrennungsofen, auf der weniger als zehn Meter entfernten Autobahn rauscht der Verkehr vorbei. Leben und Tod sind sich hier besonders nah. Erwin Auf der Maur stellt die nächste noch leere Urne bereit. Bald ist der Sarg, den er vor fast zwei Stunden den Flammen übergeben hat, samt Inhalt zu Asche und Staub verbrannt – und der Feuerschlund ist bereit für den nächsten Verstorbenen. Schnell geht auch dieser Tag wieder vorbei. Doch im Kühlraum stehen weitere fünf Särge und harren ihrer Einäscherung – noch bevor die Sonne wieder aufgeht. Morgen werden die nächsten folgen. Der Tod kennt keinen Feierabend.