Das ehemalige Gasthaus Ochsen in Flüelen wurde 1327 erbaut. Damit ist der bedeutende und stattliche Bau viel älter als bisher angenommen.
Die Balkenlagen liegen frei. Das Haus ist im Innern ausgehöhlt, und es steht nur noch das Gerippe. Das ehemalige Gasthaus Ochsen wird zurzeit vollständig renoviert. Im Zentrum von Flüelen sollen neue Wohnungen entstehen.
Jetzt bringen die Arbeiten aber auch neue Erkenntnisse für die Urner Geschichtsschreibung: Bisher galt das Wohnhaus Buchholz in der Gemeinde Seelisberg als das älteste Holzhaus im Kanton Uri. Als Baujahr wurden 1340/43 datiert. Laufende, im Auftrag der Justizdirektion des Kantons Uri durchgeführte Bauuntersuchungen im ehemaligen Gasthaus Ochsen in Flüelen zeigen, dass der Ursprungsbau aus dem Jahre 1327 stammt. Bis anhin wurde aufgrund der Akten angenommen, dass er im 16. Jahrhundert erbaut worden ist.
Flüelen erhielt um 1200 mit der Erschliessung des Gotthards für den Warenverkehr eine wichtige Bedeutung. Das Dorf am Südende des Vierwaldstättersees wurde zu einer Hauptstation auf der Gotthardroute. Die gleichzeitige Einrichtung einer Reichszollstätte deutet darauf hin, dass bereits damals eine beträchtliche Menge an Gütern in Flüelen umgeschlagen wurden. Aufgrund der Quellenlage ist anzunehmen, dass im 14. Jahrhundert eine stattliche Anzahl von Gaststätten vorhanden war, welche von den Händlern und Transporteuren als Übernachtungsorte genutzt wurden. Der ehemalige Gasthof Ochsen dürfte eines dieser bedeutenden Gasthäuser gewesen sein.
Im Rahmen der laufenden Renovation konnten nach dem Entfernen der modernen Wandverkleidungen sowie nach dem Freilegen der Kernbauten bauarchäologische Untersuchungen gemacht werden. Die Holzalterbestimmung aufgrund der Jahrringe zeigte, dass das Gebäude zwei Blockbauten beinhaltet, die im Jahr 1327 beziehungsweise 1330 errichtet worden sind.
Denkmalpfleger Artur Bucher und Bauforscherin Ulrike Gollnick wiesen am Dienstag vor den Medien auf die Besonderheiten des Hauses hin. Gleichzeitig sind zahlreiche Zeugnisse der mittelalterlichen Volksfrömmigkeit wie auch des mittelalterlichen Aberglaubens zutage getreten: Geisterbanndübel, ein in einen Schwundriss gelegter Angelhaken und verpflöckte Mensch- und Tierhaare sollten böse Geister oder unliebsame arme Seelen vom Hause fernhalten.
Die Untersuchungen zum Gebäude sind noch nicht abgeschlossen; derzeit werden diese in einen gesamt-wissenschaftlichen Zusammenhang gestellt.
Markus Zwyssig