ZENTRALSCHWEIZ: Das sind die Wurzeln unserer Fasnacht

Wer hat die Fasnacht «erfunden»? Die Römer, die katholische Kirche, die Narren? Die heutige Forschung räumt mit vielen Thesen auf und zeigt, dass die Fasnacht gar nicht so alt ist.

Josias Clavadetscher*
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Raub der Fritschimaske 1507 durch die Basler. (Bilder: Diepold-Schilling-Chronik von 1513 (Korporation Luzern))

Raub der Fritschimaske 1507 durch die Basler. (Bilder: Diepold-Schilling-Chronik von 1513 (Korporation Luzern))

Josias Clavadetscher*

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Es gibt nichts Ernsthafteres als die Fasnacht. Diese Fasnächtler-Weisheit gilt vor allem dann, wenn es darum geht, die Tradition und Bedeutung der Fasnacht zu verteidigen. Oder wenn zweitens darüber debattiert wird, wie die Fasnacht entstanden ist. Immer wieder haben sich Fasnachtstraditionen mit teils merkwürdigen Begründungen darauf berufen, dass die Fasnacht ihre Wurzeln im Altertum habe. Heidnische Anfänge machten sich gut, um der eigenen Tradition grösseres Gewicht und historisch-mythische Bedeutung zu geben. Tatsächlich kannte man im alten Rom so etwas Ähnliches wie Fasnacht. Die Saturnalien waren römische Festtage zu Ehren des Gottes Saturn. Sie fanden um die Wintersonnenwende statt, waren masslose Trink- und Essgelage, an denen Götter in Maskenform dargestellt und Spottgedichte vorgetragen worden sind. Indem die Standesunterschiede aufgehoben waren – Sklaven wurden zu Herren und umgekehrt –, wurde eine Gegenwelt mit Masken und Mummenschanz inszeniert.

Andere Theorien setzten auf die keltische und germanische Mythologie. Zitiert werden die Zwölf Nächte (25. Dezember bis 6. Januar), in denen Göttervater Odin als Wotan mit seinem Wuotisheer durch die dunklen und kalten Lüfte brauste. In diesen in Fellen vermummten Gestalten und den gegen sie entstandenen Lärmbräuchen sah man Vorläufer der Fasnachtsfiguren. Auch wenn diese zelebrierten Gegenwelten, das Lärmspektakel und die exzessiven Orgien teils dem heutigen Fasnachtsbetrieb ähneln, fehlt die Kontinuität, ein direkter Zusammenhang zu heute. Anders sieht es mit dem Mittelalter aus. Seit dem 12. Jahrhundert sind Narrenfeste belegt. Die älteste bekannte Erwähnung einer «fasnaht» findet sich 1206 bei Minnesänger Wolfram von Eschenbach. Er beschreibt Verkleidungen, Tänze und groteske Spiele. Genau gleich finden sich in der Zentralschweiz die ersten Belege von Fasnacht im Hochmittelalter. Vor allem wenn Kirchenmänner gegen die Auswüchse predigten oder Behörden Verbote, Kleider- oder Sittenmandate erlassen haben. Der Luzerner Stadtschreiber Renward Cysat (1545–1614) hat eine ganze Reihe solcher Verbote dokumentiert. Wie zum Beispiel aus dem Jahre 1412, als jedem, der «in böggewys, ja in tüffels wys» oder in anderen Verkleidungen sich auf der Strasse zeigen sollte, angedroht worden ist, dass man ihn «in den Turm» werfen werde.

Sehr üppig gelebte Fasnachtsbesuche

Unsere Fasnacht hat ihre Basis also im Mittelalter, belegt durch Verkleidung, Maskierung, Lärm, Tanz und «unberechenbares Tun». Ganz grundlos waren die behördlichen Verbote nicht. Häufig artete die Fasnacht aus und endete blutig. 1376 führte die «bös Fasnacht» in Basel zu Toten, zu einem Prozess und der Hinrichtung von zwölf angeblichen Rädelsführern. Der berüchtigte Saubannerzug nahm an der Fasnacht 1477 in Weggis, Uri und Zug seinen Anfang und führte mit 1700 Mann in die Westschweiz, um dort Kriegsbeute einzutreiben.

Sehr beliebt waren im Mittelalter die freundeidgenössischen Besuche und Gegenbesuche. 1444 besuchten die Leute von Wil die Schwyzer, 1452 die Luzerner die Schwyzer, 1461 die Schwyzer Bern, 1464 die Schwyzer Luzern, 1527 trafen sich alle Zentralschweizer in Weggis. Derartige Besuche gab es fast Jahr für Jahr. 1447 besuchten die Schwyzer die Stadt Zürich, noch bevor der Alte Zürichkrieg zwischen ihnen befriedet war. Die Freundschaftsbesuche hatten eindeutig auch den Zweck, sich gegenseitig besser kennen zu lernen und den Landfrieden zu bewahren oder herzustellen. Eine besondere Episode spielte sich zwischen Luzern und Basel ab. Die Basler liessen bei ihrem Besuch 1507 aus Spass die Luzerner Fritschimaske mitlaufen. Ein Jahr später wurde sie von den Luzernern, zusammen mit Delegationen von Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, in Basel wieder abgeholt. Dies verbunden mit einem üppigen Fest. Während der fünf Tage wurden gewaltige Mengen an Fleisch und Fisch vertilgt, darunter 1764 Hühner sowie 53 Lachse. Getrunken wurden um die 8000 Liter Wein. Diepold Schilling zeigt in seiner Luzerner Chronik eine interessante bildliche Darstellung dazu. Gezeigt wird darin auch der Fasnachtstanz von 1509 auf der Landmatte zu Schwyz. Sieben Paare bewegen sich in einem Schreittanz um zwei auf einer «Gigenbank» spielende Musikanten. Weder von Kostümen noch Masken ist etwas zu sehen. So muss man sich den gesitteten Fasnachtsbetrieb damals vorstellen, während es in den Gassen und den Schankstätten sicher ganz anders zu und her gegangen ist, auf dem Land vermutlich noch gröber als in der Stadt.

Kirchenjahr hatte prägenden Einfluss

Aus dem Mittelalter ist auch belegt, wie das Kirchenjahr Einfluss auf die Fasnacht ausgeübt hat. Fasnacht, die letzten Tage vor der Fastenzeit, wurden notgedrungen zur Zeit des Überflusses. Ab Aschermittwoch war der Verzehr von Fleisch, Fett, Milch, Butter, Eiern und Käse verboten. Wein, Most, Bier und Schnaps waren sowieso tabu. Also musste man alles noch möglichst aufbrauchen, um es nicht verderben zu lassen. Die katholische Kirche hat durch diese Fastenregeln den üppigen Fasnachtsbetrieb gefördert, gleichzeitig aber gegen die Auswüchse gepredigt.

Eine tief gehende Zäsur setzte die Reformation ab 1517. Sie betrachtete die Fasnacht als papistischen Aberglauben und verbannte das Narrentreiben und den weltlichen Genuss überall dort, wo die Reformation sich durchsetzen konnte. Wenn heute Zürich und Bern wieder eine Fasnacht kennen, so ist dies eine Neuschöpfung. Die grosse Ausnahme ist die reformierte Stadt Basel, wo sich die Fasnacht halten konnte. Vermutlich waren dafür rein ökonomische Gründe entscheidend, weil die Zünfte der Metzger, Bäcker und die Wirte an der Fasnacht festhalten wollten.

Vor dem Hintergrund dieser mittelalterlichen Basis sind im 19. Jahrhundert dann die heutigen Fasnachtformen entstanden. Mit der Befreiung vom Feudalismus hat das erwachende Bürgertum nun eigene Traditionen und Maskenfiguren entwickelt. Auch der neue Bundesstaat hat mit der Versammlungsfreiheit und dem Vereinsrecht dazu freie Bahn geschaffen. Die heutigen Maskenlandschaften und Fasnachtsfiguren haben also alle erst ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Form gefunden. Allerdings oft basierend auf Figuren aus den früheren Fasnachts- und Freiheitsspielen sowie aus der Commedia dell’Arte.

Hinweis

* Der Fasnachtskenner und Lokalhistoriker Josias Clavadetscher war jahrelang Chefredaktor des «Boten der Urschweiz».

Fasnachtstanz von 1509 auf der Landmatte in Schwyz. (Bild: Diepold-Schilling-Chronik von 1513 (Korporation Luzern))

Fasnachtstanz von 1509 auf der Landmatte in Schwyz. (Bild: Diepold-Schilling-Chronik von 1513 (Korporation Luzern))