Mit Abstand am meisten tödliche Unfälle in der Landwirtschaft passieren mit Motorfahrzeugen. Braucht es schärfere Regeln?
In der Landwirtschaft ist die Unfallgefahr hoch. Dies zeigt der tragische Unfall vom Dienstag: In der Schwyzer Gemeinde Riemenstalden steuerte ein 11-Jähriger einen Kleintraktor, auf dem auch sein Vater und zwei Geschwister sassen. Als das Gefährt plötzlich von der Strasse abkam, wurden die Passagiere heruntergeschleudert. Der 46-jährige Vater wurde vom Fahrzeug überrollt und tödlich verletzt. Ob der Traktor durch menschliches Versagen oder einen technischen Defekt von der Strasse abkam, ist noch nicht klar. «Wir haben das Fahrzeug sichergestellt und müssen die Ursache nun sorgfältig abklären», sagt David Mynall, Sprecher der Kantonspolizei Schwyz.
Klar ist: Der Junge hätte gar nicht am Steuer sitzen dürfen, da es sich um eine öffentliche Strasse handelte (siehe auch Box). Somit hätte er mindestens 14 Jahre alt und im Besitz des Führerausweises für landwirtschaftliche Fahrzeuge sein müssen. Auf dem Feld gilt diese Bedingung nicht: «Für Übungsfahrten, die nicht auf öffentlichen Strassen stattfinden, gibt es kein Mindestalter», sagt Hans Stadelmann, Agrar- und Sicherheitsingenieur bei der Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft (BUL). «Sie können also auf dem Feld auch Kinder hinter das Steuer eines Traktors setzen, die das Alter 14 noch nicht erreicht haben.» Es liege einerseits im Ermessen und in der Verantwortung der Eltern, wann ihre Kinder fahren lernen sollen. Anderseits sei jeder Fahrzeughalter dafür verantwortlich, dass er sein Fahrzeug nur Personen überlasse, welche auch die erforderliche Fahrfähigkeit hätten.
Dass bei kleineren landwirtschaftlichen Fahrzeugen auch mal ein Elfjähriger hinter dem Steuer sitze, ist laut Stadelmann nicht selten. Braucht es in der Landwirtschaft generell eine Altersbeschränkung? Eltern und Fahrzeughalter würden verantwortungsvoll damit umgehen, so Stadelmann: «Die Praxis zeigt, dass diese Regelung funktioniert.» So würden sie Kinder niemals zu Beginn gleich hinter das Steuer eines Traktors mit beladenem Anhänger setzen. Auch Josef Erni, Geschäftsführer des Luzerner Verbands für Landtechnik (LVLT), hält wenig von einer neuen Altersbegrenzung: «Das wäre aufgrund unserer Erfahrung wenig sinnvoll. Wer würde das kontrollieren? Der Aufwand wäre wohl unverhältnismässig.»
Ein Unfall wie in Riemenstalden ist gemäss Sicherheitsingenieur Stadelmann denn auch die Ausnahme: «Dass sich Unfälle auf Übungsfahrten ereignen, ist äusserst selten.» Unüblich sei es, wenn auf solchen Übungsfahrten zusätzliche Personen, insbesondere Kinder, mitgenommen würden. Der Fall lässt Stadelmann vermuten, dass die Situation stark unterschätzt worden ist: «Ein solches Fahrzeug ist eigentlich sehr sicher, es ist konzipiert für sehr steiles Gelände und fährt ziemlich langsam.»
So unüblich das tragische Unglück in Riemenstalden ist: Unfälle in der Landwirtschaft sind keine Seltenheit. Mit dem technischen Fortschritt verändern sich allerdings auch die Gefahren. Die Unfallzahlen mit Maschinen etwa sind gemäss Stadelmann leicht rückläufig. «Langsam, aber stetig sind die Maschinen über die Jahre sicherer geworden.» Unfälle mit neuen Maschinen seien vor allem auf grobes Fehlverhalten zurückzuführen.
Anders sieht das bei den Fahrzeugen aus, wo die Zahlen fast konstant sind. Ein Problem, das den Unfallexperten Sorgen macht: «Noch immer verfügen bei weitem nicht alle landwirtschaftlichen Traktoren und Motorkarren über eine Sicherheitskabine mit Überrollbügel», sagt Stadelmann. Bereits seit 1978 sind solche Kabinen in der Schweiz Pflicht. «Leider sind aber immer noch Tausende von Fahrzeugen mit älterem Jahrgang im Gebrauch.»
Ein weiteres Problem: Sicherheitsgurte. Stadelmann: «Bis heute müssen neue Traktoren nicht obligatorisch mit Sicherheitsgurten ausgerüstet sein.» Doch auch wenn sie freiwillig eingebaut werden: «In der Landwirtschaft wird der Sicherheitsgurt kaum getragen, obwohl das im Auto eine Selbstverständlichkeit ist und die BUL immer wieder Kampagnen durchführt.» Ein «leidiges» Thema, wie Stadelmann sagt.
Was eine mögliche Gurtenpflicht betrifft, so sagt Josef Erni vom Luzerner Landtechnik-Verband, dass neue Traktoren mit Sicherheitsgurten auf Haupt- und Nebensitz ausgerüstet seien, «aber eine Gurtenpflicht würde den Bauern nur die Arbeit erschweren, da sie sehr häufig auf- und absteigen müssen». Laut Josef Erni führt der Weg zu mehr Sicherheit über Präventionsarbeit. So sei praktisch jeder zweite Bauer beim Landtechnik-Verband, man arbeite auch mit der Polizei zusammen.
Mehr als die Hälfte der schweren und tödlichen Unfälle in der Landwirtschaft passieren im Umgang mit Maschinen und Fahrzeugen. 1996 bis 2013 hat die BUL 826 tödliche Unfälle gezählt, 467 in den Kategorien «Motorfahrzeuge» und «Maschinen» (siehe Grafik).
Insgesamt zeigt die Statistik, dass die Zahl tödlicher Unfälle in der Landwirtschaft zurückging und in den letzten zehn Jahren einigermassen stabil geblieben ist (zwischen 31 und 44 Todesfälle pro Jahr). Die von der Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft (BUL) erhobenen Zahlen sind nicht endgültig, wie Vera Bracher, BUL-Agronomin, erklärt: «Als Quellen stehen uns Polizeimeldungen, Medienberichte sowie Meldungen von Dritten oder von den Betrieben zur Verfügung.» Eine offizielle Statistik existiere nicht, «denn Unfälle von Selbstständigerwerbenden sind nicht meldepflichtig, im Gegensatz zu Unfällen in Suva-versicherten Betrieben». In der Landwirtschaft sei die Dunkelziffer «gerade bei Unfällen mit leichten Verletzungen hoch», so Bracher.