Seit kurzem gibt es im Kanton das erste Seniorenorchester. Im Zentrum stehen der soziale Kontakt und das gemeinsame Musizieren – inklusive eines künstlerischen Anspruchs.
Carmen Rogenmoser
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Eine klassische Orchestermusik-Melodie klingt durch den Eingangsbereich des Pfarreiheims St. Martin in Baar. Schon schwelgt der Besucher in Gedanken, sieht die elegant gekleideten Musikanten vor sich auf einer grossen Bühne. Doch dann: Ein schiefer Ton – und schon ist man wieder zurück in der Realität. Bei den rund 20 Musikerinnen und Musikern handelt es sich durchaus um routinierte und geübte Bläser und Streicher. Es ist aber eben noch kein Meister vom Himmel gefallen, auch nicht mit über 60 Jahren. Denn hier übt das erst kürlich gegründete Zuger Seniorenorchester.
Viel anders als bei anderen Musikgruppen und Musikgesellschaften läuft die Probe denn auch nicht ab. Schnell tauchen bekannte Schwierigkeiten auf: Die Nachschläge der Klarinette sind zu wenig präzise, die Triolen der ersten Stimme laufen noch nicht rhythmisch genug, und die allgemeine Intonation könnte besser sein. Dirigent Tobias Zwyer – mit 35 Jahren der einzige Nicht-Senior im Saal – kennt kein Pardon. «Das spielen wir gleich noch einmal», sagt er. Nur um nach dem Einzählen gleich wieder abzubrechen. «Wir spielen alle nach dem gleichen Tempo, meinem nämlich», mahnt er. Die Musikanten sind mit höchster Konzentration bei der Sache und nehmen Zwyers Anmerkungen und Korrekturen ernst. Dieser ist auch während eines weiteren Durchlaufs noch nicht ganz zufrieden und möchte, dass die Musikanten ihre jeweilige Stimme nun, statt sie mit dem Instrument zu spielen, selber singen. Etwas zaghaft murmelt jeder seine Noten vor sich hin. «Gleich noch einmal», fordert Zwyer auf. Nun tönt es schon sicherer, und es zeigt sich, dass sich unter den Musikanten auch gute Sänger befinden. Jetzt dürfen die Senioren wieder zu ihren Instrumenten greifen. Die Übung zeigt Wirkung. Wieder ertönt die Melodie, diesmal aber viel präziser und klangvoller. Nun kann man sich die Senioren auf der Bühne wieder gut vorstellen.
Wahrscheinlich merken die Mitglieder des Orchesters kaum, wie schnell die Zeit vergeht. Anderthalb Stunden proben sie jeden zweiten Dienstagvormittag zusammen. Das ist anstrengend und braucht viel Energie. So ist es kein Wunder, dass am Ende der Probe schnell zusammengepackt wird. Pressant hat aber niemand. Es wird noch geplaudert und gelacht. «Neben dem Musizieren soll auch der soziale Kontakt, der Austausch im Zentrum stehen», erklärt Jürg Röthlisberger. Der Chamer ist Präsident des Vereins. Er sei seit Jahrzehnten Hobbymusiker und spielt im Orchester Cello. «Ich habe fünfmal mit Cello angefangen, und nur viermal wieder aufgehört», sagt er und lacht. Gemeinsam mit Marian Balzarini, Ursula Wirth und Hansruedi Gegenschatz hat er das Orchester auf die Beine gestellt.
Musiziert haben die meisten der Mitglieder schon vorher gemeinsam, aber eher in loser Verbindung mit immer wieder wechselnden Dirigenten. Das wollten die vier ändern. «Wir wollten selbstständiger sein, freier in der Wahl der Auftritte und vor allem musikalisch vorwärtskommen», erklärt Flötistin Marian Balzarini. «Miteinander zu musizieren, ist das Grösste», sagt sie voller Freude. Als Kind habe sie Klavier gespielt und erst später Querflöte gelernt. Ziel sei es gewesen, mit anderen gemeinsam musizieren zu können. Das Seniorenorchester ist auf der Suche nach weiteren Musikanten, denen es ebenso geht. «Vor allem Geigen suchen wir», so der Präsident.
Willkommen seien aber auch andere Instrumente einer Orchesterbesetzung. «Man kann ganz unverbindlich hineinschauen.» Für neue Mitglieder gilt eigentlich nur ein Kriterium: «Man muss sich als Senior fühlen» und unter der Woche Zeit für Proben und eventuelle Auftritte haben. Das Alter spiele keine Rolle, und auch das musikalische Können sei sekundär. In diesem Bereich kann sich das Orchester auf seinen Dirigenten Tobias Zwyer verlassen. Der in Luzern wohnhafte Urner arrangiert die neuen Musikstücke und kann sie so dem Niveau der Musikanten anpassen. Für ihn gibt es sowieso viel Lob: «Er leitet die Proben mit viel Engagement und Hingabe», sagt Röthlisberger. «Es ist ein super Projekt», meint der junge Dirigent selber. Die Arbeit mit den Senioren gefalle ihm. «Klar geht es manchmal etwas langsamer vorwärts, und ich muss mich wiederholen, aber dafür sind alle sehr motiviert.» Er weiss, dass er einiges von den Musikern älteren Semesters fordert. «Das wird so gewünscht», sagt er. So machen sich die Musikanten denn auch mit «Hausaufgaben» auf den Heimweg – Dirigent Zwyer hat während der Probe einige Stellen erwähnt, die zu Hause geübt werden sollen.
Hinweis
Interessierte können sich bei Präsident Jürg Röthlisberger melden: roethlisbergercham@bluewin.ch