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Es begann mit der Einarbeitung eines blinden Mitarbeiters. Andreas Heinecke erkannte dessen Potenzial, lernte aber auch sein eigenes Unwissen kennen. Seit Jahren führt er nun weltweit sogenannte «Dialogausstellungen» durch und will in Zug ein Museum eröffnen.
Gerade war Sozialunternehmer Andreas Heinecke (62) in Kairo. Im Frühjahr 2019 wird dort die Ausstellung «Dialog im Dunkeln» nach seinem Konzept eröffnet. Im Dunkeln werden «sonst Sehende», wie er es nennt, durch Themenräume geführt: ein Park, eine Bar, ein Markt. Die Besucher lernen, den Blindenstock zu verwenden, sich zu orientieren, wenn der Körper im «Ausnahmezustand» ist. Geführt werden sie von Blinden. Den «Superhelden», wie er sie nennt. In Kairo habe ihn eine Frau angesprochen und ihm erzählt, wie sie vor acht Jahren seine Ausstellung in Frankfurt besucht habe und mit dem Gefühl rausgegangen sei, etwas machen zu wollen. Zwischenzeitlich helfe sie Blinden bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Auch die Initianten des Restaurants Blinde Kuh kamen über eine Mitarbeit in seiner Ausstellung in Zürich auf die Idee. Heinecke steht vor dem Gebäude Gartenstadt 2A in Zug. Im Oktober 2019 will er hier im Rahmen der Zwischennutzung des LG-Areals das Museum of Diversity and Inclusion, das Modi, eröffnen.
Andreas Heinecke, in Ihren Ausstellungen haben 10'000 blinde, ältere und gehörlose Menschen Arbeit gefunden. Wie kam es dazu?
Mit 13 hat mir meine Mutter eröffnet, welcher verrückten Familienkonstellation ich entstamme. Ein Teil meiner Familie sind Juden, ein anderer, wie ich erfuhr, waren Nazis. Viele Jahre habe ich dann der Klärung der Frage gewidmet, wie es sein kann, dass normale Menschen für diesen Massenmord mobilisiert werden konnten. Ich habe Geschichte studiert, Überlebende des Holocausts interviewt, Konzentrationslager besucht. 1985 arbeitete ich beim Radio, als mir die Aufgabe übertragen wurde, einen ehemaligen Zeitungsjournalisten, der durch einen Unfall erblindet war, einzuarbeiten. Damit begann es.
Andreas Heinecke gilt als Deutschlands erfolgreichster Sozialunternehmer. Seine Laufbahn startete der Baden-Badener, der Literatur und Geschichte studiert hat und einen Doktortitel in Philosophie hat, beim Südwestfunk. Heute ist er Geschäftsführer der von ihm gegründeten Dialog-Sozialunternehmen. Seine Ausstellungen «Dialog im Dunkeln» und «Dialog im Stillen» mit der Zielsetzung, das Leben von blinden und gehörlosen Menschen näherzubringen, werden heute auf der ganzen Welt durchgeführt. Der 62-Jährige ist Gewinner zahlreicher Auszeichnungen und Global Fellow der Schwab Foundation of Social Entrepreneurship des Weltwirtschaftsforums. Zudem ist er Honorarprofessor für Social Business an der European Business School. (cg)
Inwiefern?
Ich hatte Mitleid mit ihm, konnte mir nicht vorstellen, wie so jemand sein Leben bewältigt, hatte Angst, versehentlich zu sagen «schön, Sie zu sehen», und ihn damit zu verletzen. Beim Treffen lernte ich aber einen durch und durch fröhlichen und optimistischen Menschen kennen, ich war schockiert über mein eigenes Unwissen. Da merkte ich, dass die Vorstellung, dass blind zu sein gewissermassen keinen Lebenswert mehr hat, der erste Schritt zur Ausgrenzung ist. Und man irgendwann gar denken könnte: «Ich tue dem vermeintlich schwächeren Menschen sogar einen Gefallen, wenn er nicht mehr leben muss.» Ich hatte den Mechanismus gefunden.
Und Sie wollten etwas unternehmen?
Über diese Begegnung wurde mein Blick viel differenzierter. Ich dachte mir also, wenn darüber so viel möglich ist, könnte man daraus was machen. 1988 hatte ich dann die Idee für «Dialog im Dunkeln»: Licht aus, und alles ist anders. Mit Hilfe einer Stiftung konnte ich dies dann in Frankfurt erstmals ausprobieren. Über die Begegnung mit einer gehörlosen Frau kam irgendwann «Dialog im Stillen» dazu. Die ersten Jahre waren nicht einfach, aber ich kann sehr zäh sein, das bin ich auch bezüglich des Projekts in Zug. Unsere ständige Ausstellung in Hamburg existiert übrigens bereits seit 18 Jahren, und weltweit besuchen die Ausstellungen rund 800'000 Personen jährlich. Ziel dabei ist immer, gesellschaftliche Vielfalt und Teilhabe zu fördern.
«Man darf mich nie fragen, ob ich eine Idee in petto habe.»
Was planen Sie genau in Zug?
Man darf mich nie fragen, ob ich eine Idee in petto habe. Eine Bekannte, die bei der Marc Rich Foundation arbeitet, hat dies getan. Schon länger habe ich die Idee, ein Museum zu realisieren, in dem nicht nur die drei Ausstellungen gezeigt werden, sondern in dem es um Ausgrenzung an sich geht, der Besucher eine personalisierte Auseinandersetzungsmöglichkeit mit dem Thema erhält und vor allem auch Anregungsmöglichkeiten, wie er selbst tätig werden könnte: das Modi. Wir setzten uns dann mit verschiedenen Standorten in der ganzen Deutschschweiz auseinander, durch Zufall trafen wir an einer Konferenz auf Vertreter der Stadt Zug. Und die Stadt zeigte sehr viel Begeisterung und Engagement für das Projekt. In der Zwischennutzung des LG-Areals fanden wir den passenden Ort.
Wie wird das Museum aussehen?
Der Eingangsbereich des vierstöckigen Hauses wird ein bisschen an einen Apple Store erinnern. Dort geht es darum herauszufinden, wer die Besucher sind und was sie suchen. Interessiert man sich für den Bereich Alter, nimmt man dann die eine Tour. Ist man eine Gruppe junger Menschen, möglicherweise die andere. Die Besucher werden mit Fragen konfrontiert wie etwa «Trägst du Levi's Jeans oder lebst du in einer Patchworkfamilie?». Je nachdem ordnet man sich einem Feld zu. Es geht darum zu zeigen, wie schnell man dazugehört oder eben nicht mehr und wie willkürlich das ist. Bei einer anderen Station wird gewürfelt. Bei einem grünen Feld muss man sich an die Nase langen, wer am schnellsten ist, gewinnt. Dann wechselt man an den Nachbartisch, dort bedeutet Grün aber etwas ganz anderes. Plötzlich macht derjenige, der alles richtig gemacht hat, alles falsch. Eine spannende Erfahrung, die gefilmt und mit den Besuchern besprochen wird. Danach geht es um den Perspektivenwechsel, etwa im Dialog im Stillen oder in einen dunklen Raum, durch den einen eine App lotst und so weiter. Es wird viel moderne Technik eingesetzt, auch um zu zeigen, wie wichtig diese für unsere Mitarbeiter ist.
Und danach?
Dann erhalten die Besucher beispielsweise in Workshops mit jemand Blindem Anregungen, wie sie tätig werden können und entwickeln Projekte. Es hat sich gezeigt, dass dies die meisten nach dem Besuch wollen, aber nicht wissen wie. Wir laden sie ein, aktiv zu werden.
Wie viele Arbeitsplätze werden entstehen?
Wir rechnen mit rund 40 Vollzeitstellen, die vermutlich von rund 70 Angestellten ausgefüllt werden.
«Natürlich wollen wir auch Firmen ansprechen, für die wir im Museum Fort- und Weiterbildungen anbieten.»
Wie kommen Sie im eher kleinen Zug auf genügend Besucher?
Das Einzugsgebiet hat unserer Berechnung nach rund 2,5 Millionen Einwohner, 2 Millionen Touristen, und 1,3 Millionen Erwerbstätige. Natürlich müssen wir aber schweizweit in die Schulen rein und Klassen zu uns holen. Wir sind ein klassischer Bildungsträger, und natürlich wollen wir auch Firmen ansprechen, für die wir im Museum Fort- und Weiterbildungen anbieten, etwa zum Thema Diversity Management. Zudem wird auch die geplante Zwischennutzung der angrenzenden Shedhalle als Freizeitgebäude und Markthalle sicher potenzielle Besucher anziehen.
Wie steht es um die Finanzierung?
Nach erfolgreichem Abschluss der Machbarkeitsstudie, die von der Marc Rich Foundation finanziert worden ist, haben wir uns bis Ende Jahr zum Ziel gesetzt, Zusagen für die Finanzierung zu bekommen und suchen Kontakt zu Stiftungen. Einen Teil der 2,8 Millionen Franken, die wir für den Betriebsstart brauchen, haben wir bereits zusammen. Sicher aber eine Hemmschwelle ist, dass das Museum vorerst eine Zwischennutzung ist, deshalb konzipieren wir es so, dass wir es verschieben könnten. Hoffen aber natürlich, dass wir länger als bis 2022 am Standort bleiben können.