UNTERÄGERI: Carl Rüttis «Zugersee»: Schwelgen in üppigen Klängen

Wenn ein Zuger eigens für Zug eine Komposition schreibt, dann macht das neugierig. In der Ägerihalle wurde Carl Rüttis «Zugersee» uraufgeführt.

Haymo Empl
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Das Duo Praxedis überzeugte am Klavier und an der Harfe in der Ägerihalle. (Bild: Werner Schelbert (Unterägeri, 5. November 2017))

Das Duo Praxedis überzeugte am Klavier und an der Harfe in der Ägerihalle. (Bild: Werner Schelbert (Unterägeri, 5. November 2017))

Haymo Empl

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Wenn kurz vor einem Konzert noch zusätzliche Stuhlreihen aufgestellt werden und die Programmhefte vergriffen sind, dann ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, dass man als Veranstalter mit weniger Leuten gerechnet hat. Am Sonntag war dies der Fall; Carl Rütti mit seiner Komposition «Zugersee» feierte im Rahmen des Konzertes «Im Norden» in der Ägerihalle in Unterägeri die Uraufführung. «Zugersee» wurde für die Zuger Sinfonietta und das Duo Praxedis komponiert: Eigentlich klar, dass bei so viel musikalischer Prominenz der Publikumsaufmarsch entsprechend war.

Zuerst stimmte die Sinfonietta das Publikum auf gewohnt hohem Niveau und musikalisch absolut einwandfrei mit Jean Sibelius’ «Impromptu» für Streichorchester ein. Und dann: das Duo Praxedis mit einem glamourösen Auftritt. Praxedis, das sind Mutter und Tochter mit dem gleichen Vornamen. Und weil die Umbauphase einige Sekunden dauerte, blieb dem Publikum Zeit genug, einmal mehr die unglaubliche Bühnengarderobe der beiden zu bestaunen. Der so auf visueller Ebene vom Duo verbreitete Glanz tat der nüchternen Ägerihalle gut.

Zug in vier Sätzen

Die Komposition von Carl Rütti gliederte sich in vier Sätze: Der erste Teil – «Sunset Blues» – zeigte bereits das grosse kompositorische Talent des Zugers. Farbenfroh, überaus rhythmisch, stellenweise anspruchsvoll, aber dennoch eingängig. Da und dort ein bewusst platziertes Element der Störung, ohne aber zu verstören. Bereits in diesem ersten Satz zeigte sich, dass hier die Kombination Harfe und Klavier zusammen mit der Sinfonietta bestens funktioniert. «Sunset Blues» zum Auftakt; dicht, spannend – und da und dort auch eine Referenz zu bekannten Melodien aus der Klassik, ohne diese zu plagiieren.

Die hellen Farben des ersten Satzes wichen dann schnell einer unglaublichen Dramatik: Den zweiten Satz nannte Carl Rütti «Altstadt 1435». Damals versank zum ersten Mal die Zuger Altstadt im See, ein Trauma, das bis heute nachwirkt. Und vielleicht war dieser Satz musikalisch sogar der eindrücklichste. Denn – im Jargon von 1435 ausgedrückt: Praxedis die Ältere schaffte es, dass die sonst so lieblich klingende Harfe plötzlich verzweifelt klang. Genau so, wie es die Menschen seinerzeit beim Hochwasser wohl auch waren.

Dass die Harfe in diesem Satz und auch sonst während des Abends eindrücklicher als sonst klang, hatte nebst dem Können der Spielerin auch noch einen anderen Grund: «Die Musik von Carl Rütti begleitet mich als seine Schwester schon immer, er hat mir schon früh Harfenstücke geschrieben, welche ich alle uraufführen durfte.» Ergo ist Carl Rütti der Onkel von Praxedis der Jüngeren. «Schon lange war es unser Wunsch, ein zweites originales Doppelkonzert neben jenem vom englischen Komponisten Elias Parish-Alvars, welches wir im Frühling 2017 erstaufgeführt haben, ins Repertoire aufnehmen zu können, und da uns seine Musik tief berührt und unglaublich gefällt, war die Wahl naheliegend», erklärt diese.

Dramatische Harfenklänge

Nach dem dramatischen Hochwassersatz dann «die Seejungfrauen». Auch hier hat Rütti ein altes Motiv musikalisch umgesetzt, und auch dieser Satz war in sich äusserst stimmig. Dazu Praxedis Geneviève Hug (die Jüngere, am Klavier): «Carls Musik mit ihren sensiblen Melodien ist sehr berührend, besonders im langsamen Satz, der ein liebevoll gestaltetes Duo der Seejung­frauen darstellt, wiederum auch rhythmisch grandios nebst den Solo-Parts auch die coole Orchesterbegleitung.»

«Zugersee» ist ein Mix aus melodischer Moderne und Jazz, das Konzert beinhaltet Zuger Volksgeschichte, einige Sätze daraus sind inspiriert von der alten Zuger Sage «Die Zuger Seejungfrau» nach Hans Koch. Eigentlich wäre auch dies Stoff für ein Musical, und vielleicht hatte Carl Rütti das beim Komponieren ebenfalls im Kopf. Denn der vierte und letzte Satz war «Sitting On The Shore». «Die Melodie dieses Satzes stammt aus dem Gemeinschaftswerk der Musical-Oper ‹Nikki›, die ich zusammen mit meinem Sohn Tobias im Jahr 2008 komponiert habe», erklärt Rütti. Nach einer guten halben Stunde war das Minimusical, das keines war, dann zu Ende.

Viel zu früh, was ganz offensichtlich auch das Publikum am Sonntag so empfunden hat, der Applaus sprach für sich, und das Duo Praxedis stimmte zu einer kurzen Zugabe an. Und damit die Kleiderfrage – nicht ganz unwichtig bei diesem musikalischen Spektakel – auch noch geklärt ist: «Die Konzertkleider entwerfen und schneidern wir gemeinsam», klärt Praxedis die Ältere auf. Und Tochter Praxedis ergänzt: «Am Anfang haben wir uns die Frage gestellt, welcher Stoff kommt einer Fischschuppe am ähnlichsten? Bei glitzernden Pailletten sind wir fündig geworden, und es sind zwei aparte, einmalige Unikate entstanden. Die passenden Outfits beflügeln uns übrigens, um musikalisch passende Stimmungen kreieren zu können.» Beflügelt ging es dann auch nach der Pause weiter; hier konnte die Sinfonietta beim Streichquartett Nr. 1 in g-Moll unter der Leitung von Kevin Griffith ihr ganzes Können zeigen.